Live-Streams 2021

Bisher habe ich mich sämtlichen Streaming-Events relativ konsequent verweigert. Das liegt nicht etwa daran, dass ich die Künstler nicht gerne unterstütze und noch viel weniger fehlt mir der Hunger auf „live“, aber genau hier ist das Problem. In meinen Augen sind Streaming- und Online-Konzerte zwar ganz nett, können und werden aber niemals das Gefühl eines echten Live-Gigs ersetzen. Der Kontakt zwischen Musikern und Fans, aber auch das gemeinsame Feiern in der Masse, die kollektive Ekstase kann und wird niemals durch digitale Angebote zu ersetzen sein. Da aber die aktuelle Situation eh schon an den Nerven zerrt und die schon viel zu lange anhaltende Abstinenz sämtlicher Live-Kultur alles noch schlimmer macht, blieb mir nichts anderes übrig als in den sauren Apfel zu beißen und dem Live-Streaming Erlebnis eine zweite Chance zu geben. (Die erste war übrigens das Wacken World Wide letztes Jahr, was zwar gut umgesetzt wurde aber eben nochmal deutlich erkennen lies, dass die wahrhaftige Live-Kultur durch kein digitales Angebot ersetzt werden kann. Egal wie ausgeklügelt und technisch perfekt die jeweilige Umsetzung auch sein mag.) Insofern waren meine Erwartungen an Within Temptations „The Aftermath“ doch relativ hoch, wenn ich dem Spektakel im Vorfeld auch mit gemischten Gefühlen entgegenblickte.


1. Within Temptation, The Aftermath – A Show in a Virtual Reality 15.07.2021

Die gemischten Gefühle im Vorfeld halten sich am Abend der Show doch relativ in Grenzen wenn man sich erstens, damit abgefunden hat dass es eben ein Online-Stream ist und zweitens, einfach wieder der Freude auf so etwas wie ein Konzert freien Lauf lässt. Los geht’s aber erst noch mit einer kleinen Frage/Antwort Runde in der Sharon einige Fanfragen beantwortet. Was folgt ist ein Online-Spektakel das in puncto CGI-Animation/Effekte durchaus einige prägnante Akzente setzen kann. Nach einem kurzen Prolog in dem eine Robotermaske die dystopische Vorgeschichte der Show im Stile eine Gaia-Weltengöttin zum Besten gibt (und damit eine erschreckend zutreffende Bestandsaufnahme des aktuellen Weltgeschehens verkündet), starten Within Temptation direkt mit einer Rarität in diesen doch außergewöhnlichen Abend. „Forsaken“ gab es seit 2008 nicht mehr live zu hören, davon mal abgesehen eignet sich der Song aber perfekt als Einstieg in die Show, die in eine beeindruckende Kulisse eingebettet wird. Der Zuschauer wird durch eine dystopische Vision einer zerstörten Mega-City geführt. Jedes Bandmitglied findet auf einer eigenen Plattform zwischen den Ruinen von Wolkenkratzern Platz und auf virtuellen Leinwänden thronen die Bandmitglieder abwechselnd über den Dächern der Betonwüste. Zu „Paradise (What About Us?)“ singt Tarja tatsächlich als „realer“ Charakter der Show auf ihrer eigenen Plattform, was dem Duett sehr zu gute kommt. Dann wechselt das Szenario und „The Purge“ findet in einer von Titanen flankierten Feuer-Hölle statt, was den Endzeit-Charakter des Songs beeindruckend intensiv untermauert. Zu „Entertain You“ wird die Bild im Bild-Charakteristik der Show wieder voll ausgereizt. Ein riesenhafter Backscreen spielt u.a. Szenen aus dem Musikvideo ein, oder legt den Fokus auf die einzelnen Musiker. Die Lichtstimmung die von virtuellen Teleskoplichtern erzeugt wird tut ihr übriges. Zu „Raise Your Banner“ teilt sich die Bühne immer wieder in einzelne Elemente auf, was auch nochmal für einige coole Effekte sorgt. Einziger Nachteil hier: In Anbetracht des technischen Aufwands hätte man sich doch eine „leibhaftige“ Gastperformance von Anders Fridén gewünscht. Ganz ähnlich ist es bei „And We Run“ das zwar auch ein absoluter Knaller ist, aber Xzibits Part kommt wieder „nur“ aus dem Hintergrund. Die einleitenden Worte der Gaia-Projektion stimmen diesmal fast hoffnungsvoll, was den roten Faden der Show verdeutlicht und eine starke Überleitung in die folgenden Songs bildet. Mit „Shed my Skin“ und „Firelights“ gibt’s dann gleich zwei „Live-Debuts“ die sich sowohl musikalisch als auch visuell perfekt ergänzen und mit tatsächlichen „Live-Beiträgen“ der beteiligten Gastmusiker glänzen können. Insgesamt muss man auch anerkennen, dass das gesamte futuristische Setting von „The Aftermath“ perfekt zum aktuellen Sound von Within Temptation passt. Gaia kündigt den finalen Akt der Show an, der im Zeichen der Wiedergeburt und der Hoffnung steht und mit „The Reckoning“ druckvoll eingeleitet wird. Jetzt finden wir uns in einer Art Raumstation wieder, die von mehreren Portalen umkreist wird und gewissermaßen einen Neuanfang in der Ferne symbolisiert. Auch „Supernova“ funktioniert vor dieser Kulisse perfekt und wird von den visuellen Effekten maximal unterstützt. „Stairway to the Skies“ treibt diese Effekte mit umherfliegenden Planeten und einer in der unendlichen Weite schwebenden Gaia-Projektion auf die Spitze und bildet ein eindrucksvolles Finale für „The Aftermath“. Ob das Ganze jetzt als Alternative zu einem echten Konzert gesehen werden kann/sollte ist fraglich, denn die futuristische Inszenierung, der schiere Bombast der künstlich kreierten Welt für diese Show passt einerseits perfekt zum Thema des Abends, verdeutlicht aber andererseits, dass ein echtes Live-Konzert mit physischer Nähe und direktem Kontakt durch nichts zu ersetzen ist und sei die Alternative auch noch so technisch perfekt.

Dominik Maier

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