Live-Freuden 2022

Jedes einzelne Konzert in diesem Jahr war wertvoll. Jedes einzelne Konzert in diesem Jahr war auf seine Art speziell und befreiend. Die Musikkultur ist ohne den Live-Sektor schließlich nur die Hälfte ihrer selbst. Deshalb präsentiere ich dieses Jahr auch eine Top-25 Liste. Und doch könnte auch diese Liste locker um das Doppelte aufgestockt werden. Da das aber zu viel des Guten wäre: Vorhang auf für einige Live-Freuden des Jahres 2022.


1. Böhse Onkelz, Florence Black München Olympiahalle 21.09.2022

Knapp zweieinhalb Jahre nach dem ursprünglichen Termin ist es endlich soweit: Die Böhsen Onkelz ziehen ihre Tournee zum aktuellen Album durch. Aus Erfahrung ist bekannt: Es gewinnt wer früh dran ist und das ist auch heute wieder so. Allerdings in mehrerlei Hinsicht. Klar, ein Platz in der ersten Welle der Arena lohnt sich, aber auch das Vorspiel zum Konzert ist lohnenswert. Der BOSC ist mit seinem schwarzen Schlachtschiff von Bus am Start und will Mitglieder werben. So weit, so gut. Das kleine Schmankerl ist, dass ab ca. 15 Uhr der Bereich vor der Halle mit feinster Onkelz-Musik aus der Busanlage beschallt wird, was doch gleich für die richtige Stimmung sorgt. Eine halbe Stunde später schallt dann sogar der Soundcheck der Böhsen Onkelz von der Halle wider, was einen guten Anheizer auf den Abend abgibt. Der entpuppt sich dann als regelrecht entspannt, was mit dem reibungslosen Einlass beginnt und auch mit der Aufteilung der Halle in drei Wellen, inklusive jeweiligem Zuteilungsbändchen mit Einlassgarantie an den Wellenbrechern weitergeht. Kompliment an die Organisation an dieser Stelle. Bis aber der heißersehnte Headliner an den Start geht dauert es noch ein wenig. Zuerst gibt’s ein bisschen krude wirkende, weil sehr monotone Musik aus der Konserve, die aber recht schnell von einem bunten Mix aus Billy Talent uvm. abgelöst wird. Der Abend kann also kommen. Um Punkt 19.30 Uhr gehen dann Florence Black an den Start und versuchen die hungrige Meute mit gutklassigem Rock n‘ Roll für sich zu begeistern. Das klappt in gewisser Weise auch. Besonders der Schlagzeuger hat richtig Bock, was er mit einer schweißtreibenden Performance unter Beweis stellt. Allerdings wird das musikalische Gebräu mit zunehmender Spielzeit immer zäher, wobei auffällt, dass besonders die langsamen Stücke durchaus ihre Reize haben. Da ist es vielleicht nicht ganz von Vorteil, dass die schnelleren Tracks die Überhand im Set haben. Allerdings macht es doch Laune der Band zuzusehen, sodass man am Ende sagen kann: Wer hier nicht dabei war, hat einen soliden bis guten Einstieg in den Abend verpasst. Dass das auf nicht wenige Menschen zutrifft zeigt sich, als zum Startschuss der Böhsen Onkelz auch die Ränge ordentlich voll sind. Die Bühne alleine ist ein Highlight und beweist, dass die Frankfurter nach wie vor ein bisschen für Größenwahn stehen: Der komplette Bühnenhintergrund besteht aus LED-Bildschirmen, die einzeln und zusammen bespielt werden. Auch alle Podeste (Drumraiser u. Keyboard) sind mit Bildschirmen bestückt über die sämtliche Animationen mitlaufen. Und die Musik? Die gibt mit „Hier sind die Onkelz“, „So Sind Wir“, „Der Nette Mann“ und „Finde die Wahrheit“ zunächst mal eine Steilvorlage für Eskalation im Publikum. Zu sämtlichen Songs singen tausende Kehlen mit, sodass die Fangesänge stellenweise lauter schallen als die Band selbst. Eigentlich keine Seltenheit auf einem Onkelz-Konzert, aber doch immer wieder eine Gratwanderung zwischen Euphorie und nervend (man will die Band ja doch noch hören…). Die Stimmung ist aber bereits jetzt spürbar nah am Siedepunkt, wobei „Kuchen und Bier“ und „Die Stunde des Siegers“ nochmal zusätzliches Öl ins Stimmungsfeuer gießen. Für das Gesamterlebnis „Onkelz“ sind auch heute wieder die Visuals zu einem erheblichen Teil mitverantwortlich. Egal ob die Kamera Live-Eindrücke aus dem Publikum auf die Bildschirme blendet oder ob in „Kirche“ allerlei Symbolik den Text bildhaft unterstreicht, das Motto lautet ganz klar: „Klotzen statt kleckern“. Das nehmen auch die Fans wörtlich und singen sämtliche Zeilen inbrünstig mit. Für die eine oder andere dicke Gänsehaut sorgen heute u.a. Songs wie „Leere Worte“ (dieser Fanchor!), das geniale „Ein Hoch auf die Toten“ oder auch das unkaputtbare „Nur die besten sterben jung“, das immer noch zu Tränen rühren kann und als einer der vielen emotionalen Höhepunkte dieses Abends durchgeht. Ein Umstand der den Abend allerdings ein wenig trübt ist, dass Stephan sich und die Onkelz mit seiner Ansage zum Ukraine-Konflikt vor „Schöne neue Welt“ doch in einem wenig reflektierten Licht präsentiert bzw. zeigt, dass zumindest er doch auch ein Stück weit der gängigen Meinung von Medien und Konsorten folgt, bzw. sich nicht klar davon abgrenzt. Das ist schade, denn gerade dieser Song hätte durchaus das Potenzial Dinge und Vorgänge auf politischer und gesellschaftlicher Ebene zu hinterfragen. Noch ein bisschen paradoxer wirkt das Ganze in Anbetracht dessen, dass mit „Kirche“ wohl eine der Paradekritiken an gesellschaftlichen Institutionen und dergleichen folgt (dass der Song ohne Ende abgefeiert wird, sollte klar sein…). „Benutz mich“ ist dann nochmal ein kleines Highlight des Sets, weil es erstens nicht allzu oft live gespielt wird und zweitens beweist, dass die Onkelz Schoten wie diese perfekt beherrschen. Ein kleines bisschen Dreck, ein bisschen amoralischer Humor und Rock n‘ Roll, das ist auch heute noch ein wichtiger Bestandteil der Onkelz. Dass zu „Terpentin“ im Anschluss die Fangesänge nochmal lauter werden, ist einerseits inzwischen Normalität auf einem BO-Konzert, andererseits aber doch immer wieder ein spezieller Moment. Auch mit seiner Ansage zu „Nur die Besten sterben jung“ („Dieses Lied wird für immer Trimmi gehören.“) sammelt Stephan heute wieder Sympathiepunkte, trivial zu erwähnen, dass die folgenden vier Minuten ein einziges Gänsehauterlebnis sind, das von „Flügel für dich“ und vor allem der wunderbaren Ballade „Die Erinnerung tanzt in meinem Kopf“ sogar noch getoppt wird. Nachdem „Keine Amnestie für MTV“ und „Wir ham‘ noch lange nicht genug“ kaum mehr als ein amtlicher Abriss sind, verabschieden sich die vier Herren das erste Mal. Als schließlich das „Intro Oratorium“ aus der Konserve tönt folgt zu „Heilige Lieder“ das komplette Euphorie-Feuerwerk. Die Halle tanzt und singt noch ein Stück ausgelassener als an mancher Stelle zuvor und die Band gibt wie zuvor Vollgas, vielleicht sogar noch einen Tick mehr. Dass das von „Auf gute Freunde“ und besonders „Mexico“ stellenweise ins Unerträgliche gesteigert wird (der Pogo zu „Mexico“ nervt einfach bei jedem Konzert) ist ein Umstand der zwar erwartbar ist, aber eben doch immer wieder für Gänsehaut sorgt. Bevor sich die Böhsen Onkelz nach einer euphorischen letzten Zugabe in Form von „Viva Los Tioz“ von den Fans verabschieden geben sie noch eine Highlight-Version von „Nichts ist für die Ewigkeit“ zum Besten, die tatsächlich mit zu den vielen Höhepunkten dieses Konzerts avanciert. Daher lautet das Fazit des Abends: Es war ein Fest! Einziger Wehmutstropfen ist, dass „Erinnerungen“ heute ausbleibt. Das wäre die Rum-Kirsche auf der Onkelz-Torte gewesen. Aber zu viel Alkohol ist ja auch nichts, von daher: Was für ein genialer Konzertabend!


2. Arch Enemy Wacken Open Air 06.08.2022

Arch Enemy sind gefühlt in jedem Setting einsetzbar. Egal ob in einer Halle oder auf der Wacken Bühne: Die schwedisch-amerikanische Musikfreundschaft bietet immer den kompletten Abriss! Dass dabei das Auge auch niemals zu kurz kommt liegt nicht nur an Alissa White-Gluz, die die Menge auch diesmal wieder vollkommen im Griff hat, es ist die Kombination von extremem Metal der in eine erstaunlich massenkompatibles Gewand gekleidet wird, die dafür sorgt, dass es auch heute wieder proppevoll im Infield ist. Dass die blauhaarige Fronterin darüber hinaus nicht nur charismatisch und sympathisch ist, sondern eben auch eine famose Vocalistin ist, spielt natürlich auch eine nicht ganz unwichtige Rolle. Aber auch bei Arch Enemy ist es das Gesamtpaket, das den Reiz ausmacht. Dementsprechend verwundert es nicht, dass die Crowd der Sängerin aus der sprichwörtlichen Hand frisst. Egal ob sie in „The World Is Yours“ zum mitsingen auffordert, im punkigen „Deceiver, Deceiver“ alles in Grund und Boden schreit oder mit der obligatorischen Bandvorstellung vor „Ravenous“ für eine kurze Überraschung sorgt (hat sich doch über die letzten Jahre eigentlich „War Eternal“ als Vorstellungshymne etabliert…): Hier sitzt von der Optik über die Interaktion, bis hin zur (klar) monstermäßigen Stimme alles perfekt. Dann heißt es aber doch „This is fucking War“, was der ein- oder andere Fan durchaus wörtlich nimmt, wenn man sich die Ausmaße des Pits vor Augen führt. Mit „In the Eye of the Strom“ folgt dann die erste von zwei Song-Premieren des anstehenden neuen Albums „Deceivers“. Und naja, der Groove sorgt für Bewegung vor der Bühne, außerdem wird einmal mehr deutlich was für ein Ausnahme-Gitarrenduo Michael Amott und Jeff Loomis sind (diese Soli!). Im Grunde ist es aber egal ob Arch Enemy brandneues Material wie „House Of Mirrors“ oder Dauerbrenner wie das alles killende „My Apocalypse“ von der Bühne feuern. Die Fans drehen völlig frei, springen und singen aus voller Kehle oder lassen sich in Scharen gen Bühne tragen. Eigentlich ist das keine Seltenheit bei einer Arch Enemy-Show und doch wirkt es auch hier wieder so als ob das Konzert gefühlt noch ein Stück intensiver ist als gewohnt, einfach aufgrund der zurückliegenden Abstinenz. Da sich die Sonne langsam vom Himmel verzieht, kommt auch die Lightshow zu Songs der Marke „The Eagle Flies Alone“ oder „Handshake With Hell“ viel besser zur Geltung, was natürlich nochmal für zusätzliches Stimmungsfeuer sorgt. Mit „The Watcher“ gibt’s dann die zweite Live-Premiere zu der auch gleich noch das Video während des Konzerts gedreht wird. Klar, dass die entsprechende Ansage von Alissa die Stimmung zusätzlich anheizt. Fazit dieser Premiere: Brett! Danach heißt es Klassiker-Alarm (wenn man so will): „Under Black Flags We March“ wird mit monströser Wucht in die Crowd gefeuert und wem bei diesen Twin-Gitarren nicht das Grinsen kommt, dem ist schlicht nicht mehr zu helfen (die obligatorische Arch Enemy-Flagge darf zum Schluss natürlich nicht fehlen). Zu „As The Pages Burn“ sind Band und Fans auch ohne Pyros „on fire“, bevor „No Gods, No Masters“ das Infield sprichwörtlich zum beben bringt. Dank der Lightshow wirkt es außerdem wirklich so, als ob die Bühne in Flammen stehen würde. Und dann: Nebel, der über die Bretter wabert, Alissa die erwartungsvoll in die Menge blickt, ehe „Nemesis“ zur kompletten Eskalation führt. Wall Of Death, Circle-Pits und ein Refrain, der sofort und lautstark wie aus einem Munde vom Infield gen Bühne widerhallt. Dieses Konzert, dieser Song, dieser Moment: Das ist Leben pur, Ekstase pur. Für jeden! Da ist der euphorische Applaus zum Live-Outro „Fields Of Desolation“ auch nicht verwunderlich und redlich verdient.


3. Slipknot Wacken Open Air 05.08.2022

Ein riesiger Logo-Vorhang verdeckt die Bühne. AC/DCs „For Those About To Rock“ tönt aus der Konserve, die Stimmung im rappelvoll besetzten Infield scheint zu knistern. Gefühlt jeder will Slipknot sehen. Kein Wunder, schließlich sind die Maskenmetaller endlich zu Gast in Wacken. Als zu „Disasterpiece“ der Vorhang nach oben an die Bühnendecke gesaugt wird und den Blick frei gibt auf das imposante Bühnenbild gibt es kein Halten mehr. Die Crowd eskaliert komplett, oder versucht es zumindest, denn so dicht gedrängt wie die Menschen stehen, ist das mit der Bewegung gar nicht so einfach. Corey Taylor und Co. geben von der ersten Sekunde an Vollgas und sind wohl darauf aus ihre Wacken-Premiere zu einem unvergesslichen Erlebnis zu machen. Die Kulisse aus riesigen, einzeln bespielbaren LED-Blöcken, ausfahrbaren Percussion-Podesten und zweistöckigem Drumraiser macht auf alle Fälle einiges her. Slipknot sind heute definitiv nicht auf Kuschelkurs und zeigen das u.a. mit einer energischen Version von „Wait and Bleed“ das tausendfach vom Infield widerhallt. Dass dieses Konzert auch für die Band etwas ganz besonderes ist, macht Corey Taylor nicht nur mit der ein oder anderen Ansage deutlich, auch im weiteren Verlauf des Abends zeigt sich der Sänger immer wieder sichtlich ergriffen ob der Möglichkeit in Wacken spielen zu dürfen. Auch wenn der Frontmann durchaus in Plauderlaune ist, musikalisch lassen Slipknot kaum Zeit zum verschnaufen. Nachdem „Sulfur“ und besonders „Before I Forget“ für Action vor, aber auch auf der Bühne sorgen, steht mit „The Dying Song“ eine kleine Premiere (zumindest für einen Großteil der Anwesenden) an. Denn der Song ist ein erster Vorbote zum im September erscheinenden, neuen Studioalbum. Mit jeder Sekunde meint man den Schweiß der Musiker förmlich von der Bühnendecke tropfen zu sehen, was das Publikum zum Anlass für reichlich Bewegung nimmt. Egal ob „Dead Memories“, „Unsainted“ oder „The Heretic Anthem“: Slipknot reihen einen Hit an den nächsten und spielen sich selbst und ihre Fans in den sprichwörtlichen Festival-Himmel. Klassiker-Zeilen wie „If you’re 555 than I’m 666“ werden regelrecht gen Bühne gebrüllt und die Fans sorgen, trotz des geringen Bewegungsradius, für ordentlich Action vor der Bühne. Nicht nur zu „Psychosocial“ packen Clown und Co. die Baseballschläger aus und dreschen auf ihre Stahltonnen ein, als die ersten Töne von „Duality“ erklingen verkommt alles was bisher in der Crowd los war zu bloßem Vorgeplänkel: Pits explodieren, Crowdsurfer wollen fliegen, die Menge wird schlicht zu einem einzigen vibrierenden Organismus. Da kommt die musikalische Rasierklinge in Form von „Custer“ gerade Recht um nochmal einen drauf zu setzen. Das gilt auch für das Geschehen auf der Bühne, vor allem Corey Taylor spuckt seine gehässigen Botschaften regerecht ins Mikrofon. Der Wahnsinn nimmt seinen Lauf…Vor „Spit It Out“ bedankt sich der Frontmann nochmal sichtlich gerührt bei den Fans und dem Wacken Open Air, bevor die Musiker erstmals von der Bühne verschwinden. War’s das? Mitnichten! Das psychotische Intro „(515)“ erklingt vom Band und „People = Shit“ ist die vollendete Eskalation. Auf der Bühne heißt das: Chaos! Der pure musikalische Gewaltausbruch! Vor der Bühne heißt das: Circle-Pits, Crowdsurfer (die auch mal mit Bodenkontakt rechnen müssen) und eine zum Refrain geschlossen springende Menge. Nach einem erneuten Dank mobilisiert „Surfacing“ die letzten Kraftreserven der Besucher und auch die Band scheint dem sichtlichen Kollaps nahe. Diese psychotische Ader ist das was Slipknot ausmacht! Diese Energie ist in dieser Form einzigartig, genauso wie diese Band einzigartig ist und zurecht an der Spitze der Szene steht. Am Ende bleibt eine sichtlich emotional gerührte Band, allen voran ein sichtlich gerührter Corey Taylor der sich überschwänglich bei den Fans und dem Festival bedankt und verspricht, dass Slipknot wiederkommen werden! Wir nehmen dich beim Wort, angesichts dieses Triumphzugs wären aber alle Seiten (Band, Fans und Festival) wohl nicht ganz bei Sinnen wenn die Paarung Wacken und Slipknot ein einmaliges Erlebnis bleiben sollte. Grandios!


4. Eluveitie, Amorphis, Dark Tranquility, Nailed To Obscurity München Zenit 09.12.2022

Was für ein Line-Up: Eluveitie und Amorphis bespielen die Hallen Europas auf ihrer Co-Headliner Tournee und haben mit Dark Tranquility und Nailed To Obscurity Supportbands eingeladen, die beide mehr als nur den Status eines Openers haben. Aber klar, irgendjemand muss anfangen und so startet der Abend mit Nailed To Obscurity in düsterem Gewand. Der von eindringlichen Melodien durchsetzte Doom-Death Metal der Ostfriesen begeistert nicht nur durch seine Qualität, sondern auch durch die elegische Stimmung. Hier und da scheinen die Töne regelrecht von der Bühne zu fließen, was den melancholischen Songs natürlich sehr entgegen kommt. Gleiches gilt für den Sound, der eine Wucht ist und auch die feinsten Melodien der Gitarren gut in Szene setzt. Ähnlich schick gestaltet sich die optische Aufmachung der Bühne. Der Backdrop und die Aufsteller sind im schwarz-weiß Look des noch aktuellen Albums „Black Frost“ gehalten, was in Kombination mit der Lightshow einiges hermacht. Aber der Fokus liegt klar auf der Musik. Songs wie „Black Frost“ (hammermäßiger Opener), vor allem aber die beiden aktuellen Singles „Liquid Mourning“ und „Clouded Frame“ gehen gleichsam wunderschön und doch Death-metallisch tiefschürfend unter die Haut. Die Band ist top aufeinander eingespielt und Sänger Raimund meistert den Stimmspagat zwischen Growls und Klargesang scheinbar mühelos, was natürlich ein fetter Pluspunkt für die Show ist. Nach einer guten halben Stunde ist dieser homogen-melancholische Einstieg aber auch schon wieder vorbei. So kanns weitergehen. Und so geht’s auch weiter, obwohl die Grundstimmung etwas kälter wird. Das liegt u.a. auch daran, dass Dark Tranquility einen Bildschirm als Backdrop haben, der mit allerlei Projektionen und Visuals bespielt wird, was die Show zusätzlich aufwertet. Die silhouettenhaften Aufsteller tun ihr übriges. Mit „Identical to None“ und „Terminus (Where Death Is Most Alive)“ starten die Schweden in ein Knaller-Set, das jedes Melo-Death Herz höher schlagen lässt, bevor das melancholische „What Only You Know“ einen kleinen Bogen zum Opener spannt und für die eine oder andere (fette) Gänsehaut sorgt. Auch die dankbaren Ansagen lassen die Musiker ab der ersten Sekunde sympathisch und nahbar erscheinen. „Atoma“ sorgt für einen der emotionalsten Momente des Sets, ehe „Nothing to no one“ einen derberen Knüppel schwingt, aber besonders im Refrain laut von der Crowd widerhallt. Dass die Herren einen Backkatalog voller Knaller-Songs haben zeigt sich heute auch dadurch, dass ausnahmslos jedes Stück zündet und trotzdem das Gefühl aufkommt, dass Dark Tranquility nochmal so lange wie eingeplant spielen könnten. Egal ob älteres wie „Cathode Ray Sunshine“ oder aktueller Stoff wie „Phantom Days“ die Band räumt heute vollends ab und geht dementsprechend unter verdientem Applaus von der Bühne. Amorphis kommen, sehen und siegen im Anschluss wie gewohnt auf ganzer Linie. Davor wird aber u.a. wieder ein klassischer Backdrop im schicken „Halo“-Look aufgebaut. Was dann folgt hat wie immer Champions-League-Niveau. Wer wie die Finnen einen Songkatalog ohne wirkliche Schwachstellen in der Hinterhand hat, der steht bei einem neuen Album natürlich mehr und mehr vor der Herausforderung eine homogene und doch repräsentative Setlist zusammen zu stellen. Das hat heute zur Folge, dass Amorphis NUR Hits abfeuern. Mit „Northwards“, „On the Dark Waters“, „Death of a King“ und „Silver Bride“ werden sowohl Highlights des sehr starken, neuen Albums „Halo“, als auch todsichere Live-Granaten der jüngeren Vergangenheit in Reihe gezündet. Der Sound ist top und spätestens zu „Silver Bride“ brechen alle Dämme und die Halle ist erfüllt vom Fanchor. Was heute einmal mehr auffällt ist, dass es die Finnen wie kaum eine andere Band verstehen homogene Live-Shows zu bieten. Hier geht’s immer um die Band und ihre Songs als Gesamterlebnis. Dementsprechend bleiben Ego-Getue wie Gitarrensoli in Songlänge und derlei Kram außen vor, was den Genuss des Konzerts erstklassig macht. Dass Klassiker wie „Black Winter Day“ oder „Into Hiding“ frenetisch abgefeiert werden ist klar. Dass aber die stärksten Songs die sind, in denen das bewährte Gemisch aus Melodie und Härte zelebriert wird, zeigt sich nicht nur daran, dass neue Stücke wie „Where Seven Roads Come Together“ bestens reinknallen, sondern auch an der zentimeterdicken Gänsehaut die „House of Sleep“ nach all den Jahren immer noch erzeugt, wodurch auch dieses Konzert ein grandioses Ende findet. Für Eluveitie wird im Anschluss ein Backdrop mit keltischer Totenmaske gehisst und in der Bühnenmitte steht ein Aufsteller mit rötlichem Symbol, was optisch schonmal einiges hermacht. Mit neun Leuten ist es natürlich etwas enger auf der Bühne, aber es bedeutet auch, dass für das Auge einiges mehr geboten wird. „Exile of the Gods“ ist ein Einstieg nach Maß, bei dem sich sofort zeigt, dass die Band richtig Bock hat, vor allem Fabienne Ernie ist ein Blickfang vor dem Herrn und dermaßen gut bei Stimme, dass sich die ein oder andere Gänsehaut an diesem Abend noch breitmachen soll. Überhaupt ist die Band top aufeinander eingespielt und diese Energie schwappt gut auf das Publikum über. Dabei ist es völlig egal ob Eluveitie aktuelleren Stoff wie das treibende „Deathwalker“ darbieten, ob ursprünglich akustische Stücke wie „Epona“ als Metal-Version erklingen oder ob Songs wie „Ambiramus“ den Ohrwurmfaktor deutlich nach oben schrauben. Starke Songs bleiben starke Songs und so wird im Publikum wahlweise getanzt, mitgesungen oder hier und da auch ein kleiner Pit angezettelt. Allerdings nehmen die ellenlangen Solotänzchen des Gitarristen und auch das Schlagzeugsolo, das sich wie Kaugummi zieht sehr viel Druck aus dem Kessel. Das ist schade, denn die Songauswahl ist heute Abend top und wenn die Band songdienlich arbeitet kocht der Laden. So auch bei „De Ruef vo de Bärge“, nach dem aber erst mal Schluss ist. „Aidus“ eröffnet den Zugabeblock dann als fast eisiger Sturm und vor allem Fabienne Ernie liefert eine Performance ab, die die Nackenhaare noch stärker gen Himmel stehen lässt. Gleiches gilt für das abschließende Doppel „Ategnatos“/„Inis Mona“. Beim Finalstück steht die Halle dann auch endgültig Kopf und der Refrain schallt lautstark vom Publikum wider. So stark Eluveitie aber abliefern, die totale Live-Perfektion von Amorphis verfehlen sie, wenn auch nur knapp. Trotzdem: Es war ein bombastischer Konzertabend mit grandiosem Line-Up und vier nahezu perfekten Konzerten.


5. Watain, Abbath, Tribulation, Bölzer München Backstage Werk 17.09.2022

Watain schicken sich im Rahmen ihrer „Chariots of Fire“-Tournee an Europas Clubs ins Chaos zu stürzen. In München klappt das heute in mehrerlei Hinsicht fast zu gut, doch dazu später mehr. Mit Abbath als Co-Headliner und Tribulation und Bölzer als Supportbands haben die Schweden ein äußerst passendes und hochkarätiges Line-Up geschnürt, kein Wunder also, dass das Backstage Werk nahezu ausverkauft ist. Den Anfang machen Bölzer, die neben zwei Aufstellern und einem Backdrop lediglich einige Kerzen am Bühnenrand als visuelle Unterstützung zu ihrer Musik benötigen. Viel mehr braucht es aber auch nicht um die Anwesenden in ihren Bann zu ziehen. Zwar ist anfangs noch nicht ganz so viel los, dem Gig tut das aber keinen Abbruch, im Gegenteil: KzR und HzR hämmern sich bei einem top Sound durch ihr schweißtreibendes Set. Der rituelle Aspekt dieses Abends wird hier bereits sehr deutlich. Auch visuell machen die beiden Herren einiges her, vor allem KzR ist mit seiner hünenhaften Gestalt natürlich ein Blickfang. Auch das großteils in blau gehaltene, monotone Bühnenlicht trägt seinen Teil dazu bei, dass der Gig eine ganz spezielle, rituelle Wirkung entfacht, was die Fans zahlreich honorieren. Trotzdem fällt bereits auf, dass die anwesenden Fans untereinander überwiegend sehr verhalten und distanziert bleiben, was sich auch den ganzen Abend über kaum ändert. Zu Tribulation leert sich die Halle dann auf einen Schlag merklich. Was sehr schade ist, aber vielleicht auch daran liegt, dass sich das (sehr atmosphärische und gut passende) Grusel-Intro eine gefühlte Ewigkeit hinzieht. Danach aber spielen sich die Schweden durch ein bombiges Horrorset, dessen Stimmung durch das durchweg grüne und etwas diffus wirkende Bühnenlicht einen ganz speziellen Reiz verpasst bekommt. Die spannende Frage, die im Vorfeld im Raum stand, war ja wie Tribulation den Weggang von Jonathan Hultén kompensieren würden. Sein Nachfolger Joseph Toll liefert seine eigene Antwort, indem er sich musikalisch perfekt durch die filigranen Songs zockt und absolut nix anbrennen lässt. Zwar hat er nicht mal ansatzweise die optische Präsenz und das übersprudelnde Charisma seines Vorgängers, aber er versucht erst gar nicht solchen Ansprüchen Dritter gerecht zu werden. Damit fügt er sich zumindest live sehr gut in die Band ein, die mit Songs wie „Nightbound“ oder auch „Leviathans“ eh kaum was falsch machen kann. Auch der neue Song „Hamartia“ verzaubert die Crowd heute aufs äußerste und steigert außerdem die Spannung auf ein neues Album, das hoffentlich bald Gestalt annehmen wird. Im Grunde ist hier jeder Song ein Highlight. Einfach weil Tribulation ein packendes Gesamtpaket abgeben, was es umso schwerer macht eventuelle Haare in der Suppe zu finden. Zu Abbath wird es dann wieder voll. Vor dem Drumraiser prangt ein riesiger, eiserner Logo-Aufsteller, der fast die komplette Bühnenbreite einnimmt und die Band steigt nach dem Marsch-Intro vom Band mit „Acid Haze“ in eine Setlist ein, die kaum Wünsche offen lässt. Der Sound ist eine Wucht, die Gitarren braten glasklar und auch sonst kommen alle Elemente der frostigen Songs bestens zur Geltung. Während seine Mitmusiker überwiegend stoisch ihren Jobs nachgehen, gibt Abbath heute einmal mehr den Spaßvogel, schneidet Grimassen und zeigt auch mit der ein- oder anderen Ansage, dass er sich selbst nicht zu ernst nimmt. Seine Musik nimmt der Mann aber durchaus ernst, was er mit Songs wie „Ashes of the Damned“ unter Beweis stellt. Dass aber sämtliche Highlights des Sets aus seiner musikalischen Vergangenheit stammen, ist einerseits verständlich, anderseits stellt sich bei Knallern wie „Warriors“ von Abbaths Projekt I, oder dem grandiosen Immortal-Cover „Withstand the Fall of Time“ die Frage was Abbath mit seinem aktuellen Material evtl. falsch macht? Denn die wirkliche musikalische Magie kommt nur bei diesen Songs auf, die dementsprechend auch die euphorischsten Reaktionen erzeugen. Grundsätzlich schmälern aber auch die zwischenzeitlichen, kleinen Probleme mit den Drums den Eindruck eines starken Konzerts nicht, sodass sich Abbath mit einem durchaus ernst gemeinten „Dankeschön München“ von den Fans verabschiedet. Der folgende Umbau der Bühne, lässt bereits erahnen was jetzt folgt. Die Halle wird von einer Art-Horrorfilm-Soundtrack erfüllt, zwei riesige Petruskreuze prangen an der Bühnenfront. Die Bühnenseiten werden von imposanten, rostigen Aufstellern, die mit allerlei Symbolik, Knochen und schweren Ketten verziert sind, flankiert und vor den Drums ragen zwei riesige Teufelshörner empor. Im Hintergrund hängen imposante Banner mit Sanskrit und Thai-Schrift. Ein sakral anmutendes Intro ertönt, Erik betritt mit einer Fackel bewaffnet die Bühne, die er an den feurigen Spitzen der Kreuze entzündet und danach provokant aber gezielt ins Publikum wirft. (Ein Fan fängt sie sogar, wobei das Flämmchen aber nach den ersten paar Minuten der Show erlischt). Watain eröffnen ihren heutigen Abriss mit „Ecstasies in Night Infinite“ und verharren mit ihren ersten vier Songs zwischen dem prägenden „Casus Luciferi“-Album („Black Salvation“ und „I Am the Earth“) und ihrem aktuellen Langspieler. Wobei auffällt, dass sich die Energie kaum ändert und auch neuere Songs wie das großartige „The Howling“ diese andächtige und doch gefährliche Aura ausstrahlen, die Watain auszeichnet. Zu Tracks wie „Reaping Death“ werden manche Fans gar ein bisschen übermütig und starten kleinere Pogo-Aktionen, aber alles in allem herrscht doch andächtige Faszination ob des fanatischen Geschehens auf der Bühne vor. Auch die anfänglichen Soundprobleme (die ersten Minuten klingen etwas dumpf) sind schnell ausgemerzt und so entfalten „The Devil’s Blood“ oder auch das geniale „Serimosa“ ihre durchdringende und bösartige Magie auch bei gutem Sound. Dabei erweist sich Erik als fanatischer Zeremonienmeister, der die Gefahr und das Chaos die seiner Kunst zugrunde liegen unmittelbar auf die Bühne transferiert und an die Fans weiter gibt. „Not Sun Nor Man Nor God“ bildet einen kleinen Ruhepol zwischen dem schwarzen Chaos das Watain heute in die Halle zaubern. Was danach folgt ist nicht weniger als der totale Black Metal-Exzess, mit dem die Band (wieder mal) beweist, warum sie aktuell an der Spitze der Szene steht. „Before the Cataclysm“ ist vielschichtiges Black Metal-Kino, bei dem die Melodien so eindringlich durch die Halle schwingen, dass unweigerlich Gänsehautstimmung aufkommt (nicht das erste und auch nicht das einzige mal an diesem Abend). Mit „Angelrape“ zeigen sich Watain hingegen von ihrer ruppigen, chaotischen Seite, dementsprechend wird es auch im Publikum ein bisschen rabiater. Das Grande Finale bildet aber „Malfeitor“. Dieser Song ist in vielerlei Hinsicht sowas wie die vertonte Essenz der Band und wird lautstark von den Maniacs in der Halle zelebriert. Dass Watain nach wie vor eine der besten Bands der Szene sind, zeigen sie einerseits durch ihre spürbare Ernsthaftigkeit und andererseits dadurch, dass sämtliche Elemente ihrer „Show“ einem Zweck dienen. Egal ob Erik brennbares Pulver in eine Fackel wirft oder ob er am Ende sein Abschiedsritual vollzieht: Hier geht es um etwas das viel größer ist als Menschen oder ihre Musik, es geht darum dem Leben einen höheren Sinn zu geben. Für Watain ist dieser Sinn Chaos, Leidenschaft für das Dunkle und die totale Hingabe an die eigene Spiritualität, die zur Kunst geworden ist. Für die Fans sind Watain nicht nur eine der aktuell besten Szenebands, sondern ein Pfad der Erleuchtung, wenn auch nicht im klassischen Sinn.

Nachtrag:

Die Garderobensituation im Backstage ist an diesem Samstag eine Vollkatastrophe. Im Werk selbst gibt es gar keine Garderobe, sodass sämtliche Besucher von mindestens zwei parallel stattfindenden Veranstaltungen ihre Klamotten und Taschen an der Garderobe zwischen Club und Halle abgeben müssen. Dementsprechend staut es sich vor allem nach dem Konzert ewig bis die Leute ihre Sachen wieder haben. Ein zusätzlich nerviger Umstand ist, dass die Menschen draußen im Regen stehen müssen, was für den ein- oder anderen Fan durchaus einer Frechheit gleichkommt, denn wer geht schon mit dicker Jacke zu einem Hallenkonzert? Hier besteht definitiv Verbesserungsbedarf. Eine Garderobe im Backstage Werk wäre schonmal ein sinnvoller Schritt in die richtige Richtung.


6. The Halo Effect Wacken Open Air 05.08.2022

Dass Szeneprominenz ein Vorteil sein kann, zeigt sich u.a. daran, dass The Halo Effect, obwohl sie zum Zeitpunkt der Show noch kein Album draußen haben, auf der „Faster“-Bühne des W:O:A spielen dürfen. Zwar wirkt es ein wenig undankbar, nach Slipknot auf die Bretter zu müssen, aber die befürchtete Massenabwanderung bleibt aus. Kein Wunder, schließlich versprechen sowohl die personelle Konstellation der Band (ehemalige Mitglieder von In Flames, aktive Mitglieder von Dark Tranquillity), als auch die bereits bekannten musikalischen Vorboten einen Melodic-Death Metal Abend der Extraklasse. Mit dem Titeltrack ihres kommenden Albums „Days of the Lost“ steigen die Musiker fetzig in ihr Set ein, ehe es mit „The Needless End“ erstmals ein bisschen melancholischer wird. Da das Gros der Songs bisher unveröffentlicht ist, verwundert es nicht, dass im Publikum eher gespanntes Lauschen als ausgelassene Action angesagt ist. Ein Vorteil von Melodic-Death Metal Qualitätsware ist aber, dass die Songs recht schnell ins Ohr gehen und dementsprechend auch für die ein- oder andere Mitmachaktion geeignet sind. Daher verwundert der frenetische Applaus kaum. Auch die angenehm selbstironischen Ansagen von Mikael Stanne sind sympathisch we eh und je. Musikalisch gibt es an diesem Gig erwartungsgemäß wenig bis nix auszusetzen. Kleine Überraschungen gibt’s z.B. in Form von Klargesang („A Truth Worth Lying For“), aber der größte Pluspunkt ist die Spielfreude die The Halo Effect an den Tag legen. Darüber hinaus sind die sympathischen Ansagen von Mikael Stanne einfach Gold wert und so sorgen auch die Bandvorstellung und seine Entschuldigung, dass Jesper Strömblad heute leider nicht mit an Bord sein kann für freudigen Publikumsreaktionen. Mit „Gateways“ feuert die Band danach einen Hit der Extraklasse ab, der vom Publikum mit reichlich Mitklatsch-Action und Tanzeinlagen quittiert wird. Insgesamt beweisen The Halo Effect heute, dass es nichts anderes als gute Songs braucht um ein Publikum zu begeistern, denn die Show fällt eher spartanisch aus, was aber ein gutes Kontrastprogramm zum vorherigen Festival-Headliner ist. Vielmehr sind es die sympathischen und dankbaren Ansagen von Mikael Stanne, die das Konzert doch auch wieder auf ein spezielles Level heben. So auch seine Einleitung zu „Feel What I Believe“. Zwar hält sich das Publikum im Großen und Ganzen einigermaßen zurück, aber das verwundert kaum, denn schließlich ist das Gros der Songs bis dato noch gar nicht veröffentlicht. Diese Premiere hat aber den feinen Nebeneffekt, dass der Applaus zwischen den Songs umso frenetischer ausfällt. Wirkliche Highlights lassen sich schwer ausmachen, aber das melancholische „In Broken Trust“, der Prototyp-Göteborg-Death Metaller „Last Of Our Kind“ oder das abschließende „Shadowminds“ erzeugen mit die frenetischsten Reaktionen.


7. Infected Rain Wacken Open Air 06.08.2022

Was für eine Kombi: Gerade haben Arch Enemy die Hauptbühne zerlegt, da folgt mit Infected Rain nochmal ein spätes Highlight auf der Headbanger Stage. Lena Scissorhands und ihre Kumpanen stehen völlig zurecht da wo sie heute sind, harte, unermüdliche Arbeit darf sich schließlich auszahlen. Daher ist es schön zu sehen, dass vor der Bühne einiges los ist. Mit „Pendulum“ und „Mold“ bündeln Infected Rain gleich zu Beginn des Sets sämtliche Qualitäten ihres Sounds: Krachender Groove, elektronische Spielereien und Lenas charakteristischer Gesang. Die Dame ist heute einmal mehr super bei Stimme und weiß die Bühne gekonnt zu nutzen. Davon abgesehen ist sie (nicht nur) wegen ihres Charismas auch heute wieder der Blickfang der Show. Dass ihr der normale Bühnenboden außerdem recht schnell zu eng wird und sie stattdessen auf den Boxen im Graben ihre favorisierte Position findet, zeugt von der immer noch spürbaren Fannähe der Band, was wieder mal für zusätzliche Sympathiepunkte sorgt. Daher verwundert es kaum, dass ein Gros des Publikums der Dame sprichwörtlich aus der Hand frisst. Egal ob sie zum mitklatschen auffordert oder zusätzlichen Gesang verlangt, die Fans sind am Start. Aber auch die anderen Bandmitglieder wirken bis in die Haarspitzen motiviert. Der Dreadlock-Kollege an der Gitarre eskaliert wie gewohnt komplett und steht gefühlt nie mehr als zwei Sekunden still, während die übrigen Mitglieder das solide Fundament der Band bilden. Was aber doch auffällt ist, dass Lena deutlich tiefer, fast death-metallischer growlt als noch auf manch vergangenem Konzert. Dadurch bekommen die Songs insgesamt einen etwas anderen Charakter, an den man sich als Fan der ersten Stunde möglicherweise etwas gewöhnen muss, allerdings steht dem Material der dadurch entstehende Härtezuwachs sehr gut. In Tracks wie „The Earth Mantra“ wird außerdem zu jeder Sekunde deutlich, das Lena Scissorhands für ihre Texte brennt und wirklich etwas zu sagen hat. Ganz egal was man von der Thematik halten mag, diese Tatsache allein macht die Dame mit jedem Konzert und jedem Song sympathischer und authentischer. Die zahlreichen Fans honorieren diese Authentizität u.a. mit kleineren Pits, (vielen) Crowdsurfern und generell freudiger Stimmung. Im Grunde jagt ein Highlight das nächste, aber mit „Passerby“ eröffnen Infected Rain das letzte Drittel ihrer Show dermaßen intensiv, dass es doch etwas heraussticht. Vor allem Lenas Klargesang gewinnt immer mehr an Dramatik, was auch Brecher wie „Fighter“ noch kontrastreicher erscheinen lässt. Band und Fans befeuern sich immer weiter zur gemeinsamen Ekstase, daher wirken Lenas dankbare Ansagen umso nahbarer und nachvollziehbarer. Die Menge klatscht bei jeder Gelegenheit mit und zu „Fool The Gravity“ explodiert der Pit förmlich, was die Sängerin zum Anlass nimmt noch garstiger zu growlen. Am Ende heißt Lena alle Publikumsneulinge in der „infected Family“ willkommen und verlangt nach einem finalen Circle-Pit, der prompt folgt. Mit einer krachenden Version von „Sweet, Sweet Lies“ beenden Infected Rain ihr Set und hinterlassen eine sichtlich zufriedene Crowd, die einen Großteil ihrer Kraftreserven in dieses Konzert investiert haben dürfte. Es war ein Fest!


8. Hypocrisy Wacken Open Air 05.08.2022

Hypocrisy Destroys Wacken Again! Dieses Motto verspricht einiges. Zur kompletten Zerstörung reicht es dann zwar doch nicht, aber trotzdem liefern die legendären Schweden ein erstklassiges Set ab. Auch hier unterliegt ein Teil der Stimmung zwar dem Todfeind jeder Lightshow (dem Tageslicht), die musikalische Leistung schmälert dieser Umstand aber kaum. Schon zum Intro wird fleißig geklatscht und mit „Worship“ geht die Band gleich mit aktuellem Stoff in die Vollen. Zwar ist es vor der Bühne (zum Glück) noch erstaunlich ruhig, der Lautstärke des Jubels nach zu urteilen, sind die Fans aber doch zahlreich anwesend. Dass Hypocrisys wahre Stärke aber immer noch im schweren Midtempo-Groove mit eingängigen Melodien liegt, zeigen die Publikumsreaktionen nach Songs wie „Fire in the Sky“. Fäuste recken sich zahlreich in die Luft, und die obligatorischen „hey, hey“-Rufe schallen lautstark gen Bühne. Peter Tägtgren ist heute in Topform und growlt und screamt als wäre er in einen stimmlichen Jungbrunnen gefallen, was den Songs natürlich nochmal eine zusätzliche Portion Energie einhaucht. Dank knapper Ansagen lässt der Frontmann außerdem vor allem die Musik sprechen, die es mit Klassikern wie dem immer(!) killenden „Eraser“, aber auch mit neuerem Stoff wie „Chemical Whore“ und „Children Of The Gray“ (Highlight) absolut in sich hat. Bei der ein- oder anderen Aufforderung zum mitsingen halten sich die Fans zwar eher zurück (fehlerfreies Screamen will ja doch gelernt sein), aber zu Nackenbrechern der Marke „Impotent God“ treten immerhin ein paar Crowdsurfer ihre Reise an. Optisches Highlight des Konzerts ist außerdem der Drumraiser im „Worship“-Stil, vor dem drei „Hypocrisy-Kreuze“ platziert sind, schicke Sache. Mit Titeln wie „Chemical Whore“ setzten die Schweden außerdem ein wichtiges und deutliches Statement ab, das keiner wirklichen Erklärung bedarf. Davon abgesehen ist die Nummer einfach ein Knaller! Aktivpart der Show ist neben dem Publikum (das zu Krachern wie „Until the End“ oder Angethrashtem wie „Don’t Judge Me“ ziemlich fleißig ist, ein hartnäckiger Circle-Pit, Crowdsurfer, etc…) vor allem Peter selbst, der die Masse anzustacheln weiß („War-Path“). Mit „Fractured Millenium“ und der unkaputtbaren Zugabe „Roswell 47“ feuern Hypocrisy abschließend zwei Ewigkeitsklassiker in die Menge, bei denen mit Nebel und Rauch zwar der Versuch unternommen wird zusätzliche Stimmung zu erzeugen, dank dem Wind bleibt es aber nur ein Versuch. Der Musik tut das keinen Abbruch, was die Crowd mit entsprechend Enthusiasmus honoriert. Was für ein Fest!


9. Fall Of Man 2022, (Dolch), Kosmokrator, Arroganz, Burial, E-L-R, Nubivagant, Häxenzijrkell, Sum Lights München Backstage Halle 30.12.2022

Das letzte Konzert des Jahres steht im Zeichen musikalischer Düsternis. Die kleine, aber feine Underground-Veranstaltung „Fall Of Man“ verspricht dank hochkarätigem Line-Up ein Highlight für Freunde dunkler Klänge zu werden. Einen Tag vor Silvester ist dann doch ein bisschen was los in der Backstage Halle, auch wenn der Laden weit davon entfernt ist ausverkauft zu sein. Aber mit (Dolch) und Kosmokrator stehen doch zwei sehr heiße Eisen der aktuellen Finster-Szene auf dem Billing, das sich aber auch dank der übrigen Beteiligten sehen lassen kann. Sum Lights stehen als Opener anfangs zwar vor der undankbaren Aufgabe vor etwas weniger Publikum zu spielen, der Qualität des Konzerts tut das aber keinen Abbruch. Als die Bühne in rotes Licht getaucht wird, verstummen die Anwesenden auf der Stelle und eine wenig knisternde Stimmung macht sich doch breit. Die wird insofern weitergetragen, als dass Sum Lights einen musikalischen Sog erzeugen können, der sich irgendwo zwischen elegischem Black Metal mit flirrenden Melodien und einem gewissen Stoizismus, der unbarmherzig aus den Boxen drückt, ansiedelt. Die Musiker werden beinahe komplett von der Lightshow verschluckt, was den hypnotischen Charakter der Show zusätzlich verstärkt. Hier kann man sich hervorragend in den ersten Dunkelstrudel des Abends fallen lassen. Starker Auftakt! Weiter geht’s mit Häxenzijrkell die mit Kerzenständern auf der Bühne gleich nochmal für ein wenig mehr Ritualstimmung sorgen. Das Duo aus Gitarrist/Sänger und Schlagzeuger zelebriert seine tiefschwarze und doomige Musik dann noch exzessiver und entrückter als ihre Vorgänger. Nach wenigen Minuten entfaltet das Konzert eine rauschhafte Wirkung und einzelne Songs sind auch nicht mehr auszumachen. Vielmehr wirkt hier alles wie ein einziger Sog aus spiritueller Manie und rituellem Dröhnen. Dazu kommt das extreme Organ des Sängers, der wahlweise nach purer Verzweiflung klingt, oder aber den Eindruck eines fremdartigen Untiers, das Laute voller Leid und Ekstase ausstößt erweckt. Heftig! Nubivagant führen die entstandene Stimmung im Anschluss fort, wenn auch auf etwas andere Art. Mit ihrem rituell und meditativ angehauchten Black Metal stechen sie erstmal nicht zwingend hervor, aber der klare Gesang ist natürlich ein markiges Merkmal das nicht allzu viele Genrekollegen bieten. Die Band kann im Gesamten überzeugen und bietet einen intensiven Charakter in den man sich hervorragend fallen lassen kann. Und doch ist die Musik unverkennbar Black Metal. Diese leicht extravagante Kombination kommt heute sehr gut an und der Sound ist eine Wucht. Die Drums knallen ohne Ende und auch der Gesang verbreitet das musikalische Drama bestens. Schade, dass der Gig mit vierzig Minuten doch recht kurz ausfällt. E-L-R heimsen im Anschluss nicht nur aufgrund der Besetzung (Bassistin/Sängerin, Gitarristin/Sängerin, Drummer) ein wenig Exotenstatus ein, sondern fallen mit ihrem dröhnenden Doom/Post-Metal Sound auch klanglich etwas aus dem Rahmen. Aber was liefern sie für einen musikalisch intensiven Wahnsinn! Wie zwischen Traum in Paralyse knarzt der Sound in den eindringlichsten Momenten aus der Anlage und nicht zuletzt, dank des ätherischen Gesangs der beiden Damen scheint die Halle immer mehr in einen wunderschönen Strudel intensivster Musik hineingezogen zu werden. Da macht es auch überhaupt nichts, dass sowas wie Publikumskommunikation gänzlich ausbleibt. Hier werden die Fans von einer intensiven Woge musikalischer Intensität davon getragen. Sehr stark! Das lässt sich von Burial im Anschluss leider nicht behaupten. Zwar ist ihr schleppender Death Metal grundsätzlich nicht schlecht gemacht und an mancher Stelle kommt auch sowas wie Atmosphäre auf, allerdings kann der in Kellertiefen knüppelnde Stoff, gemessen an den vorherigen Bands, leider wenig Reize setzen. Gleiches lässt sich über die Lightshow sagen, die zwar zur Musik passend eintönig gehalten wird, aber eben auch nicht wirklich für Spannung sorgt. Nichtsdestotrotz feiert eine Vielzahl der Anwesenden das finstere Material ab. Arroganz setzen dann zumindest gefühlsmäßig auf die „Stumpf ist Trumpf“-Karte. Das ist grundsätzlich nicht schlecht und auch die leicht pöbelnde Art des Sängers passt gut zum gebotenen Sound, allerdings nutzt sich die Musik mit jedem Song mehr ab. Dadurch bleiben auch hier wirkliche Reize aus. Immerhin bringt der Sänger mit seiner leicht pöbeligen Art den Bandnamen überzeugend rüber. Als kleines Schmankerl holt der Mann für einen Song den Sänger der ausgeblieben Sacroscum auf die Bühne, der dem eh schon stumpfen Zeug nochmal eine Schippe Rotz draufpackt. Die zahlreich anwesenden Fans honorieren die Show mit reichlich Action und Enthusiasmus, der u.a. in einen kleinen Pit mündet. Kosmokrator führen diesen Spirit im Anschluss dahingehend weiter, als dass ihre Show zu einer rauschhaften Black/Death Metal-Gewalttat wird. Die Atmosphäre wird um einiges düsterer und ablehnender, was u.a. auch daran liegt, dass der Sänger die ganze Zeit über konsequent mit dem Rücken zum Publikum performt. Angesichts der allgemeinen Vermummung der Band hat das aber einen speziellen und durchaus interessanten Reiz, der den finsteren Charakter des Gigs nochmal verstärkt. Es gibt kaum Ansagen, kaum erkennbare Interaktion mit dem Publikum und doch reißt die Musik vom ersten Ton an dermaßen mit, dass Faszination zwingend angebracht ist. Sehr starker Gig! Danach zeigt sich aber doch, dass (Dolch) zurecht der Headliner des Abends sind. Das liegt u.a. daran, dass die Show noch stärkere Züge eines Rituals annimmt. Die Musik ist einnehmend und vom ersten Ton an wird der Zuschauer/Zuhörer in einen angenehmen und intensiven Soundstrudel hineingezogen. Auch die Selbstdarstellung der Band ist von vorne bis hinten stimmig. Egal ob es die etwas schüchtern wirkende Art der Sängerin ist, oder ob der Gitarrist den Eindruck erweckt, als würde er den Rock n‘ Roll aus jeder Pore seines Körpers schwitzen: (Dolch) spielen ein wahrhaft berauschendes Konzert, bei dem sich sogar in den Pausen zwischen den Songs knisternde Stimmung breit macht. Ein weiterer interessanter Aspekt ist außerdem auch die Ausstrahlung des Gitarristen, der neben dem erwähnten Rock n‘ Roll-Faktor die Aura eines zutiefst spirituellen Schwarzmetallers hat. Das ist insofern wichtig, als das (Dolch) eben in erster Linie auf ein emotionales Rauscherlebnis setzen, wobei die beiden Bandköpfe ein bisschen wie die Verkörperung von Feuer und Wasser wirken. Das eine kann nicht ohne das andere und doch sind sie zwei völlig verschiedene Qualitäten. Nach dieser Show geht ein grandioses Fall Of Man 2022 zu Ende, womit auch das Konzertjahr 2022 einen wunderbaren Abschluss erfahren durfte.


10. Kampfar Wacken Open Air 04.08.2022

Langsam steht die Sonne tiefer, was dem Black Metal Billing auf der W:E:T-Stage und der Headbanger-Stage immer zuträglicher wird. Die äußeren Umstände verkommen bei Kampfar aber sofort zur Nebensache als Dolk und seine Rasselbande die Bühne betreten. Alleine aufgrund der kontrastreichen Bühnenpräsenz der Band lohnt sich der Gig: Während Dolk nach wie vor eine Mischung aus asozialem Charmebolzen und berserkendem Waldschrat abgibt, beackern seine Mitmusiker überwiegend stoisch ihre Instrumente (von ein paar Grimassen und kurzen Animationsversuchen abgesehen…). Die Band ist bestens aufeinander eingespielt und Dolk hat die Meute vom ersten Ton an im Griff. Damit dass Kampfar im Großen und Ganzen ohne Brimborium auskommen und in erster Linie ihre Musik sprechen lassen, sammeln die Norweger außerdem zusätzliche Sympathiepunkte. Songtechnisch wird nahezu die komplette Diskografie beackert. Egal ob ganz aktuelles wie „Urkraft“ oder ältere Schoten der Marke „Troll, død og trolldom“: Kampfar erweisen sich heute als absolute Bank, die ihre frostige, leicht angepunkte Black Metal-Schlacht mit Bravour zelebriert. Dass vor der Bühne einiges los ist, scheint eine zusätzliche Motivationsspritze für die Musiker zu sein. Kleine Showeinlagen wie ein fahnenschwingender Dolk, sind zwar nicht unbedingt originell, passen aber gut in das Gesamtbild der Band. Auch den zwischenzeitlichen technischen Ausfall (der Bass ist auf einmal weg) kann Dolk mit ein paar dankenden Worten an die Crowd passend überbrücken. Die ein- oder andere Tanzeinlage des Frontmanns wirkt zwar objektiv betrachtet ein wenig klamaukisch, aber Dolk ist stimmlich derart gut aufgestellt, dass alles andere Nebensache ist. Die Fans danken es der Band immer wieder mit kleineren Aktion (ein Moshpit hier, enthusiastisches Fistbanging da). Songtechnisch jagt im Grunde ein Knaller den nächsten, wobei das folkloristische „Mylder“ mit die ekstatischsten Reaktionen hervorruft. Einzig die subtil politische Ansage vor „Tornekratt“ trübt den Gig ein wenig, denn egal welche Ansichten eine Band vertritt oder ablehnt, auf einem Konzert sollten politische Statements und dergleichen nichts zu suchen haben. Aber naja, der Kraft des Songs tut das keinen Abbruch, im Gegenteil: Der kleine Moshpit vor der Bühne explodiert förmlich und Dolks Mitschrei-Motivation findet reichlich Gehör. Mit mehrstimmigem Klargesang führen Kampfar den Song zu einem eindrucksvollen Ende, das vom grandiosen „Det Sorte“ sogar noch gesteigert wird. Die Musiker drehen gefühlt noch mehr auf und auch das Publikum quittiert das Finale mit reichlich Action in Form von kleineren Moshpits u.ä. Am Ende bleiben Kampfar als mitreißender Live-Act voller Enthusiasmus und starker Songs in Erinnerung.


11. Rotting Christ Wacken Open Air 04.08.2022

Der Donnerstag ist voller Überraschungen (das kann aber auch daran liegen, dass der Autor dieser Zeilen ein Gros der heute auftretenden Bands bislang noch nicht zu Gesicht bekommen hat…) und auch der Gig von Griechenlands Black Metal Urgesteinen Rotting Christ darf in diese Kategorie eingeordnet werden. Das abendliche Ambiente passt natürlich perfekt zu den düsteren Epen von Sakis Tolis und Co. die mit „666“ vielversprechend in ihren Set einsteigen. Mit seinem „Guten Abend, Wacken!“-Ausruf sammelt der Frontmann außerdem von Anfang an Sympathiepunkte. Zwar versteht man bei Songs wie „P’unchaw kachun-Tuta kachun“ nur Bahnhof, aber das tut der Intensität der Musik keinen Abbruch. Im Gegenteil: Auch die unterstützenden Growls der Saitenfraktion kommen bestens zur Geltung und der Sound ist 1a, was den wunderbaren Gitarrenmelodien- und Soli im weiteren Verlauf des Sets immer wieder zugute kommt. Die Fans feiern die düsteren Epen auf alle Fälle ordentlich ab, was sich an zahlreichen Pommesgabeln und lautem Applaus zwischen den Songs festmachen lässt. Zu „Fire, God & Fear“ kommt erstmals das schön blasphemische Backdrop richtig zur Geltung und das rote Bühnenlicht verstärkt den repetitiven Groove des Songs zusätzlich. Neben Sakis persönlich erweist sich auch der Bassist immer wieder als Publikums-Motivator, während die anderen Herren einen tadellosen Job an ihren Instrumenten abliefern. Blickfang des Abends ist auch Themis Tolis, der sein Kit wie ein Berserker bearbeitet. Glücklicherweise überzeugen aber vor allem die Songs: Egal ob das hysterische „Elthe Kyrie“ (inklusive Frauengeschrei aus der Konserve) oder das martialische „Apage Satanas“, die Fans machen alle Aktionen (mitklatschen, auf Kommando schreien usw.) bereitwillig mit. Auffällig gut wirkt heute Abend auch die Dynamik der Kompositionen. Das Drama zwischen laut/leise, ruhig/energisch kommt bestens zur Geltung. Da Rotting Christ aber doch einen recht konsistenten Sound haben, lässt sich kaum ein wirkliches Highlight aus dem Set herausgreifen. Mal tendieren die Songs in eine eher majestätische Richtung („King Of A Stellar War“), bevor Tracks wie „Fgmenth, Thy Gift“ die Reise zu den Anfängen der Band aufzeigt. Das klingt dann auch noch nicht ganz so schwerfällig, was für zahlreiche fliegende Haare und gen Himmel gereckte Pommesgabeln sorgt. Der Aufforderung zur Wall Of Death kommen glücklicherweise nur wenige Zuschauer nach, sodass sich das thrashige „Societas Satanas“ (ein Thou Art Lord-Cover) doch ganz angenehm genießen lässt. Dass ihre eigenen Kompositionen aber die größte Wirkung entfachen, zeigen Rotting Christ mit dem intensiven Abschlussdoppel „In Yumen-Xibalba“ und „Grandis Spiritus Diavolos“. Die Fans geben nochmal Gas und klatschen fleißig mit, der Pit dreht seine Runden und auch auf der Bühne wird nochmal alles gegeben. Zum Abschluss springen Fans und Band gleichsam im Takt des letzten Songs, der sich tatsächlich als Highlight des Sets erweist. Ganz stark!


12. Nightwish, Beast in Black, Turmion Kätilöt München Olympiahalle 05.12.2022

Aufgeschoben ist nicht aufgehoben: Nachdem die Tournee zum aktuellen Album „Human. :II: Nature.“ aus bekannten Gründen mehrmals verschoben wurde, ist es am diesjährigen Nikolausabend endlich soweit: Nightwish beehren München auf ihrer Headliner-Tour durch die Welt und haben sich ihre Landsleute von Beast in Black und Turmion Kätilöt als Gäste eingeladen. Letztere dürfen dann auch als erste ran und versuchen mit einem Verschnitt aus Techno/Electro und Heavy Metal die anwesenden Fans in Tanzlaune zu versetzen. Und das klappt sehr gut. Der technoide Sound geht direkt in die Beine und mit ihrem optischen Auftreten, irgendwo zwischen Endzeit-Warrior und Corpsepaint, bietet die Band auch einen Mehrwert fürs Auge. Da die Texte durchgehend auf finnisch vorgetragen werden, ist das Mitsing-Potenzial allerdings begrenzt, das ändert aber nichts daran, dass die Band und besonders die beiden Frontmänner eine energische Show bieten. Zwar haben die Sänger eine sehr ähnliche Stimmfarbe und bei geschlossenen Augen wird’s schwer zu erkennen wer von den beiden Herren gerade am Zug ist, der Musik tut das aber keinen Abbruch. Die halbstündige Aufwärmparty geht daher angenehm kurzweilig ins Ziel. Nachdem der folgende Umbau praktisch innerhalb eines Wimpernschlags vergeht (die Roadies sind auf Zack!) stehen auch schon Beast in Black auf der Bühne und liefern eine energiegeladene Show, mit der sie den Party-Faktor nochmal deutlich nach oben schrauben. „Blade Runner“ ist der perfekte Anheizer, bevor „From Hell with Love“ den Disco-Faktor enorm in die Höhe treibt. Die Bandhymne „Beast in Black“ knattert dann metallischer daher und animiert ein wenig mehr das Haupt zu schütteln. Die Band ist bestens aufgelegt und besonders der Schlagzeuger sammelt mit seinem Dauergrinsen Sympathiepunkte. Zu meckern gibt’s kaum was, ein Ohrwurm jagt den nächsten und im Publikum ist durchgehend Party angesagt. Das heißt es wird gesungen und getanzt. Songs wie „Die By The Blade“ oder auch das, zugegeben, schon sehr kitschige „One Night in Tokyo“ eignen sich bestens dazu die Hüften zu schwingen, lassen sich aber auch ausgelassen mit brüllen. Die besungene Nacht in Tokyo wird außerdem mit vielen Visuals aus dem zugehörigen Musikvideo untermahlt, was auf den riesigen Bildschirmen natürlich top aussieht. Die Highlights sind aber auch heute wieder der genial-kitschige Knaller „Blind and Frozen“ (hier treffen Ohrwurm-Refrain und Tanz-Hit auf die perfekte Portion Gitarrenmetall) und das mindestens genauso wunderbare Energiebündel „End of the World“. Klar, dass die Halle dementsprechend zum Dancefloor wird (zumindest für einige jüngere aber auch ältere Semester im Publikum). Überhaupt ist das Publikum sehr heterogen durchgewürfelt, was optisch doch ein wenig den Eindruck eines Familientreffens erweckt. Vom Die-Hard-Kutten-Metaller bis zur mehrköpfigen Familie mit Kindern ist alles vertreten. Sehr schöne Sache! Zum Umbau für Nightwish wird ein Vorhang mit stilisierter Sanduhr vor der Bühne hochgezogen und die Spannung steigt doch merklich an. Für viele der Anwesenden dürfte es schließlich einer der ersten Shows der Band ohne ihren prägenden Bassist/Sänger Marko Hietela sein. Zudem ist Floor Jansens OP noch nicht allzu lange her, was natürlich die Frage aufwirft, ob sie heute mit voller Kraft dabei ist. Rein optisch sind Nightwish auf alle Fälle on point. Fünf LED-Bildschirme zieren die Bühne und zeigen immer wieder Live-Bilder der Musiker oder werden mit allerlei passenden Visuals bespielt. Auch die übrigen Showelemente sind gewohnt bombastisch. Das fängt bei den massenhaft zündenen Pyros an und endet bei den vielfältigen Projektionen die, je nach Song passend, über die Bildschirme flackern. Nach dem Intro „Music“ geht die Band mit „Noise“ gleich in die Vollen und zeigt von Anfang an, dass sie im Begriff ist zu klotzen statt zu kleckern. Und klar, wer Songs der Marke „Storytime“ oder dem genialen „Sahara“ auffährt, der kann im Grunde nur gewinnen. Allerdings zeigt sich hier und da doch ein ganz klein wenig, dass mit dem Abgang von Marko Hietala ein wesentliches Charakteristikum des Bandsounds abhanden gekommen ist. Floor Jansen und Troy Donockley sind ohne Frage Könner, aber gerade der eher brave Touch in Troys Gesang kann der Charakterstimme von Marko nicht das Wasser reichen. Nichtsdestotrotz sind Songs wie „7 Days to the Wolves“, „Dark Chest of Wonders“ (bei dem man meinen könnte die Band wolle die Halle abfackeln, angesichts der Armada von Pyros die gezündet wird) oder auch der ewige Klassiker „Nemo“ Nummern für die Symphonic Metal-Ewigkeit, die immer wieder aufs Neue begeistern. Zwischendurch schlagen „Harvest“ oder auch die Akustikversion von „How’s the Heart“ andächtigere Töne an und Floor nutzt diese Gelegenheiten gekonnt, aber dennoch grazil zum Kraft tanken, indem sie sich immer wieder hinsetzt und die Show ihren Kollegen überlässt. Musiker sind eben auch nur Menschen und angesichts dessen machen hier heute alle einen tadellosen Job. Auch wenn der Frontdame in den zarten Tönen manchmal etwas die Kraft ausgeht. Das verkommt aber angesichts von Klasse-Songs wie „Last Ride of the Day“ (Pyro-Alarm!), dem auf ewig genialen „Ghost Love Score“ und der monumentalen Finalkrone „The Greatest Show on Earth“ zur völligen Nebensache. Besonders der Abschlusssong ist mit seinen beeindruckenden visuellen Effekten, der fantastischen Dramaturgie und dem schlicht genial-spannenden musikalischen Aufbau immer wieder ein Highlight für sich. Als Schmankerl singt Floor ihren Part im abschließenden „All the Works of Nature Which Adorn the World: VIII. Ad Astra“ live zum ausklingenden Orchestral-Monument aus der Konserve. Dieser Abend stellt wieder einmal klar: Nightwish sind und bleiben die Chefs im Ring des symphonischen Dramatik-Metalls.


13. Evergrey, Fractal Universe, Virtual Symmetry München Backstage Halle 04.10.2022

Der heutige Abend steht im Zeichen des progressiven Schwermetalls, denn Evergrey gastieren im Münchner Backstage. Mit Fractal Universe und Virtual Symmetry haben die Schweden außerdem zwei eher mittelmäßig bekannte Acts im Vorprogramm dabei, die sich aber grundsätzlich gut mit dem Headliner ergänzen. Dabei sind die Umstände unter denen Virtual Symmetry als Opener auf die Bühne gehen eher semi-optimal, denn die Halle ist nicht mal halb voll. Gut, es ist Dienstag, aber angesichts des Headliners hätte man doch zumindest mit ein bisschen mehr Publikumszuspruch gerechnet. Aber naja, der Motivation der Band schadet das kaum und grundsätzlich hat der melodische Progressive Metal der Herren auch seine gefälligen Momente. Der Aufhänger der Show ist aber tatsächlich weniger die Musik, als vielmehr die Bühnenaction des Drummers, der sein Kit wie ein Berserker bearbeitet und ebengleiches Merkmal des Gitarrenkollegen, der heute einfach mächtig Bock auf den Gig zu haben scheint. Musikalisch ist das Gebotene auch nicht verkehrt, denn das melodische, hier und da etwas vertrackte Material eignet sich gut als Türöffner in den Abend. Allerdings lässt sich über den „Schwiegermama-Touch“ der Band natürlich gut diskutieren. Unsympathisch geht aber ganz sicher anders, da ist es auch nicht so schlimm, dass der Gesang an mancher Stelle leicht schief klingt. Als allerdings nach einer halben Stunde Schluss ist, bleibt doch ein bisschen das Gefühl, dass hier eher wenig hängen bleiben wird. Ganz anders ist das bei Fractal Universe, die mit ihrem harten Progressive Death Metal eine ordentliche Portion Düsternis in den Abend bringen. Ein zusätzliches Gimmick der Musik ist, dass der Frontmann neben seiner Gitarrentätigkeit auch immer wieder das Saxofon auspackt, was den Songs eine interessante Note verleiht, die sehr gut passt. Insgesamt zaubert die Band eine eher dystopische Stimmung in die Halle, was u.a. auch an der düsteren Lightshow liegt. Musikalisch passen die Herren aber unerwartet gut zum Headliner. Und auch in Puncto Bühnenpräsenz können Fractal Universe überzeugen, was aber auch daran liegt, dass ihnen ein top Sound auf den Leib geschneidert wird. Sehr starker Gig! Auch wenn mittlerweile ein bisschen mehr los ist, bleibt das Backstage weit davon entfernt voll zu sein. Das ist schade, denn was Evergrey im Anschluss auf die Bretter bringen, hat Champions-League Niveau. Nicht nur der Sound ist bombastisch, mit dem düsteren „Save Us“, dem treibenden „Weightless“ und dem melancholischen „Distance“ zaubern die Schweden eine dichte Atmosphäre in die Halle, die von einer starken Lightshow und dem top-Sound bestens in Szene gesetzt wird und von Anfang an eine mitreißende Wirkung entfacht. Zwischendurch sammelt Frontmann Englund mit seinen Ansagen Sympathiepunkte, die er aber eher stellvertretend für die ganze Band einsackt, denn hier ist niemand ein Griesgram. Auch dass manche Elementen aus der Konserve kommen (Chöre etc.) macht heute überhaupt nix, sondern ist dem Sound und der Stimmung der Songs enorm zuträglich. Dass Mr. Englund außerdem perfekt bei Stimme ist, sollte eigentlich kaum verwundern, aber es zeigt doch auch warum Evergrey eben eine Headliner-Band sind. Wirkliche Highlights aus dem Set herauszupicken fällt schwer, da die Musiker einfach kein schlechtes Material abgeliefert haben, aber „Midwinter Calls“ ist (nicht nur) wegen seines gehörigen Mitsingpotenzials ein genialer Moment des Konzerts. Gleiches gilt für das düstere „A Silent Arc“ oder den Melancholiker „In the Absence of Sun“, der von den Anwesenden auch begeistert aufgenommen wird. Dass Evergrey außerdem zur Speerspitze ihres Genres gehören, zeigen Nummern wie „Call out the Dark“, die zwar progressiv sind, aber eben unverschämt eingängig daherkommen und dementsprechend auch heute abräumen. Mit „My Allied Ocean“ und „A Touch of Blessing“ geht die Band ein paar Jährchen in der eigenen Geschichte zurück und beschließt den „regulären“ Teil des Sets würdig, ehe der Brecher „Blindfolded“ den Zugabeteil einleitet. Zu „Recreation Day“ klatscht das Publikum fleißig mit und der Refrain erzeugt (nicht das erste und nicht das einzige Mal an diesem Abend) eine gehörige Gänsehaut, ehe „King of Errors“ das Konzert als finaler Gänsehautmoment beschließt. Am Ende bleiben Evergrey als gigantische und sympathische Live-Band in Erinnerung, denen der verhältnismäßig geringe Zuspruch an diesem Abend absolut nicht gerecht wird.


14. Lacuna Coil Wacken Open Air 05.08.2022

Zu doch recht früher Wacken-Stunde sorgen Lacuna Coil für die Überraschung des Tages. Denn Cristina Scabbia und Co. liefern heute eine Show mit Headliner-Qualität ab. Eigentlich wenig verwunderlich, schließlich ist die Frontdame eine der besten Sängerinnen der Szene. Die Achillesferse war seit jeher ihr männlicher Gegenpart Andrea Ferro, der aber heute absolut nix anbrennen lässt. Dabei ist es egal ob die Band aktuelles wie „Reckless“, groovige Ohrwürmer der Marke „Trip the Darkness“ oder ältere Hits wie „Heaven’s A Lie“ von der Bühne feuert. Mit ihrer Show sind Lacuna Coil heute eindeutig zu früh auf dem Billing platziert, denn in diesem Format hat die Band locker Headliner-Format. Auch das Gesamtbild, das die Band mittlerweile abgibt ist dermaßen homogen, dass es ein Fest für Augen und Ohren gleichermaßen ist. Zwar scheint das Publikum hier und da noch nicht vollends auf Betriebstemperatur zu sein, der Klasse der Show tut das aber keinen Abbruch und spätestens wenn Cristina Scabbia zu den Fans spricht sind die Reaktionen entsprechend angemessen. In Songs wie „Layers Of Time“ zeigt Andrea Ferro außerdem, dass er in letzter Zeit wohl merklich an seinen Screams gearbeitet hat. So energiegeladen und aggressiv-bissig hat man den Sänger selten erlebt. Das tut den Songs hörbar gut, denn es sorgt erstens, für deutlichere Kontraste und zweitens, bekommt auch Cristinas Stimme dadurch einen zusätzlichen Energieschub (an Kraft und Klasse mangelt es der Sängerin ohnehin nicht). Völlig egal ob „Tight Rope XX“, „Veneficium“ (genial!) oder „Our Truth“: Die Crowd frisst der charismatischen Sängerin aus der Hand und macht sämtliche Spielchen freudig mit (Händeschwenken, singen etc.). „Nothing Stands in Our Way“ ist dann nicht nur ein passender Abschluss eines gigantischen Konzerts, sondern auch das musikgewordene Motto der Band, der Fans, ach was, einer ganzen Szene die hier und heute einem heimlichen Festival-Headliner lauschen durfte. Lacuna Coil, danke für dieses Konzert!


15. Behemoth Wacken Open Air 05.08.2022

Sonne vs. Black Metal Runde 3: Behemoth gastieren erneut in Wacken und wie immer heißt es klotzen statt kleckern. Nergal und Co. sind nicht gerade dafür bekannt halbe Sachen zu veranstalten, dementsprechend ausgeklügelt wirkt das Bühnenbild inklusive stählernem Emblem das von der Bühnendecke baumelt. Ob die Massen vor der Bühne (schließlich folgen im Anschluss Slipknot) eine zusätzliche Motivationsspritze für Polens Schwarzgeister sind kann nicht final geklärt werden, aber Behemoth reißen heute fast noch ein bisschen enthusiastischer als gewohnt ab. Eigentlich kein Wunder, denn wer mit Krachern der Marke „Ora Pro Nobis Lucifer“, „Wolves Of Siberia“ und „Ov Fire And The Void“ in seine Show einsteigt, der ist nicht nur gewillt die sengende Sonne vom Himmel zu vertreiben, sondern hat das Publikum von der ersten Sekunde an im Griff. Auch heute beweist Nergal erneut, dass er das kleine 1×1 des Rockstar-Daseins verinnerlicht hat und dirigiert die Masse vor der Bühne gekonnt. Egal was man von ihm und seinen Ansichten halten mag, der Mann ist ein charismatischer Entertainer wie er im Buche steht. Daher verwundert es kaum, dass die Menge ziemlich frei dreht und sich sowohl Circle-Pits als auch Crowdsurfer munter drehen und gen Bühne tragen lassen. Allerdings haut Nergal mit seiner offensichtlichen Solidaritätsbekundung zur Ukraine so dermaßen daneben, dass es einem danach immer schwerer fällt den Gig richtig zu genießen. Denn auf einem Konzert, noch dazu von einer Band wie Behemoth haben politische Statements absolut nichts zu suchen (ganz davon abgesehen, dass es ja doch etwas paradox wirkt wenn sich jemand der offenkundigen Satanismus propagiert, plötzlich als sog. Gutmensch outet und Solidarität mit einem Land fordert, dessen politische Zusammenhänge und dergleichen höchst undurchsichtig sind, aber das ist ein anderes Thema…). Natürlich sind Songs wie „Off to War!“ oder das neue Stück „Ov My Herculean Exile“ musikalisch so gut wie unangreifbar und auch die personelle Bühnenpräsenz von Behemoth entzieht sich fast jeder Kritik, aber trotzdem: Ist die Suppe einmal versalzen bleibt der Geschmack doch fade. Dem Gros der Fans scheint das aber egal zu sein, denn vor der Bühne ist einiges los. Auffallend ist aber, dass die wirkliche Ekstase nur im ersten Drittel des Infields von statten geht. Je weiter man nach hinten schaut desto teilnahmsloser wirkt das Publikum. Wobei: Crowdsurfer stehen doch einige an der Tagesordnung, naja…Noch ein bisschen paradoxer wirkt das politische Gehabe von Nergal in Anbetracht dessen, dass er im Anschluss allen Christen den Tod in der Löwengrube wünscht („Christians to the Lions“). Das erste wirklich dicke musikalische Ausrufezeichen des Sets folgt aber erst in Form von „Bartzabel“. Auch das Bild von Nergals diabolischer Mitra macht einiges her und untermauert diese epochale Komposition bestens. Dazu gibt’s Pyros en masse, die aber leider im Licht des frühen Abends verpuffen. Nach einem kurzen Dank an die Fans zündeln Behemoth mit „Decade of Therion“ nochmal in Hochgeschwindigkeit ehe „Chant for Eschaton 2000“ und das eindrückliche Finale „O Father O Satan O Sun!“ das Set beenden. Zu ersterem entrollen sich rote Banner mit dem Dreifach-Kreuz der Band von der Bühnendecke, was der Show nochmal einen martialischeren Anstrich verleiht, der sehr gut passt. Das Schlussbild eines blutverschmierten Nergal in rotem Priestergewand, der seine satanischen Verse der tiefstehenden Sonne entgegenschmettert ist so eindrücklich wie intensiv und wird nur von den grotesken Masken, die die Band zu den letzten Tönen zur Schau stellt übertroffen. Dass der Schlussmonolog dann aus der Konserve tönt verkommt angesichts der musikalischen Klasse der Komposition beinahe zur Nebensache.


16. Arch Enemy, Behemoth, Carcass, Unto Others München Zenit 28.10.2022

Unter dem Banner „The European Siege 2022“ haben sich Arch Enemy und Behemoth als zugkräftige Allianz zusammengeschlossen und mit Carcass und Unto Others findet sich erstklassige Verstärkung. Klar, dass das Ticket schon eine Zeit lang auf dem heimischen Altar thront. Zum Einlass wird zunächst noch die Lichtanlage getestet und es tönt eine passende Mischung 80s Wave-Rock aus der Hallenanlage. Tatsächlich ist die Halle doch schon voller als erwartet, denn an einem Freitag ist achtzehn Uhr abends doch eher etwas suboptimal als Startzeit. Umso erfreulicher ist, dass nicht wenige Anwesende dem Gig von Unto Others entgegenfiebern. Eigentlich verwundert das kaum, denn die Band aus Portland hat mit ihrem aktuellen Album ein echtes Sahnewerk im Gepäck. Als die Musiker nach Rushs „Subdivisons“ aus der Konserve mit „Heroin“ in den Abend einsteigen ist der Sound bereits vom feinsten, was den Gig vom ersten bis zum letzten Ton zu einem Genuss werden lässt. Die überwiegend in kalten Blautönen gehaltene Lichtshow passt hervorragend zur Musik und auch die Musiker wissen ihre Songs für das Auge passend zu inszenieren. Dass Frontmann Gabriel Franco mit obligatorischer Sonnenbrille einen dezent unnahbaren Touch ausstrahlt, passt auch gut zu den traumwandlerisch dargebotenen Nummern, die, wie auf Platte auch, irgendwo zwischen ganz großem Gefühl und dem Griff nach den (musikalischen) Sternen pendelt. Der Fokus liegt mit vier von sieben Songs auf dem aktuellen Werk „Strength“, aber mit dem herzergreifenden „Can You Hear the Rain“ findet sich auch eine Nummer der „Don’t Waste Your Time“-EP in der Setlist. Dass zwischen sämtlichen Songs keinerlei Stimmungsschwankung entsteht, zeigt, dass diese Band definitiv für höheres berufen ist und in (hoffentlich naher) Zukunft ein solches Tour-Paket anführen darf/wird. Carcass erzeugen danach einen krassen Kontrast. Was nicht nur die im „Surgical Steel“-Look gehaltenen Aufsteller zeigen, sondern auch das weiße Backdrop auf dem ein aus Operationsbesteck geformtes Herz prangt. Auch die vertikalen Bildschirme (vier an der Zahl), die auf der Bühne positioniert sind, werden jetzt mit Visuals bespielt. Mit „Buried Dreams“ eröffnen die Engländer ihre Show gleich mit einem Song ihrer Legendenscheibe „Heartwork“, bevor mit „Kelly‘s Meat Emporium“ ganz aktueller Stoff folgt. Grundsätzlich macht das grindige Geballer auch ordentlich Laune und dass sich besonders Frontmann Jeff Walker sympathisch nahbar zeigt, ist dem Gig natürlich enorm zuträglich. Mit der Zeit wird’s aber leider etwas eintönig. Wobei das auch daran liegen kann, dass Carcass mit ihren eher wenig melodischen Songs heute sowas wie der Ausreißer im Billing sind. Auch das ein- oder andere Gitarrensolo pfeift ganz schön schräg aus der Hallenanlage, wobei den Musikern erstens, eine äußerst sympathische Art attestiert werden muss und zweitens, klar festgestellt werden kann, dass die technischen Fähigkeiten aller Beteiligten auf einem top-Niveau sind. Und dass sie durchaus Humor haben, beweisen Carcass als Frontmann Jeff Walker die Fans dazu auffordert mit Handylichtern und Feuerzeugen für romantische Stimmung zu sorgen, bevor die Band fröhlich weiter ihrem Metzgershandwerk nachgeht. Danach ist aber erstmal Schluss mit lustig. Der weiße Umbauvorhang mit dem aktuellen Schlangenkreuz von Behemoth wird vor der Bühne entrollt und während „Post-God Nirvana“ als Intro aus den Boxen tönt erscheinen grimmige Face-Visuals von Nergal auf dem Vorhang, der zu „Ora Pro Nobis Lucifer“ fällt und den Blick auf ein von der Bühnendecke baumelndes Band-Emblem freigibt. Dass Behemoth live eine Macht sind dürfte bekannt sein. Dass besonders Nergal aber auch eine diskutable Person ist, ebenso. Heute konzentriert sich die Band zum Glück auf das was sie am besten kann und zelebriert eine satanische Messe in Hochglanzpolitur. Dazu gehören, bei aktuellen Songs wie „The Deathless Sun“, auch die grotesken Masken der Promobilder zum jüngsten Album „Opvs Contra Natvram“, dessen Titel auch heute als eine Art Motto verstanden werden kann. Aber auch ältere Nummern wie das alles vernichtende „Ov Fire and the Void“ oder „Daimonos“ wissen ihre zerstörerische Kraft perfekt zu entfalten. Die Fans honorieren das mit fleißiger Action, leider meinen aber auch einige Vollidioten völlig stur und ohne Rücksicht auf Verluste nach vorne drängen zu müssen und schrecken dabei auch nicht davor zurück den ein- oder anderen im Weg stehenden Besucher einfach umzurennen. Was soll dieser Scheiß?! Das ist leider etwas, dass sich nicht nur heute Abend zeigt: Der sonst so viel gerühmte Respekt unter Metallern scheint über die konzertfreie Zeit irgendwie flöten gegangen zu sein. Nichtsdestotrotz entfalten Songs wie „Barzabel“ oder das mächtige „Blow Your Trumpets Gabriel“ eine schier einnehmende Wirkung. Das große Live-Kino zeigen Behemoth auch mit dem grandiosen Doppelschlag „Versvs Christvs“ und „Chant for Eschaton 2000“, zu denen sich Nergal in sein verstörend aussehendes, rotes Priestergewand hüllt und seine satanischen Botschaften fast wie besessen von der Bühne grollt. Fazit: Behemoth bleiben live ein Macht! Danach wird es Zeit für „Pure Fucking Metal“. Das verspricht nicht nur der Umbauvorhang, sondern Arch Enemy stellen das ab dem ersten Ton des punkigen Openers „Deceiver, Deceiver“ klar. Alissa White-Gluz ist, wie immer, bestens bei Stimme und super gelaunt. Kein Wunder also, dass ihr die Menge aus der Hand frisst. Mit „War Eternal“ und „Ravenous“ folgen zwei absolute Live-Granaten, die für die entsprechenden Reaktionen im Publikum sorgen: Circle-Pits drehen ihre Runden und auch der ein- oder andere Crowdsurfer tritt seine Reise an. Mit fünf gespielten Songs liegt der Fokus des Sets natürlich auf dem aktuellen Album „Deceivers“, das heute u.a. mit „In the Eye of the Storm“ zum Nackenmuskeltraining aufruft. Im Grunde ist es aber egal welchen Song die Band von der Bühne feuert: Hier zündet alles, was sich u.a. auch an einem merklichen Zuwachs von Crowdsurfen bemerkbar macht. Die nerven aber genauso sehr wie es nervt, dass sich nicht wenige Pärchen im Publikum meinen als fleischgewordene Sichtbehinderung agieren zu müssen. (Männer, ihr müsst eure Damen nicht auf den Schultern tragen, sie haben qua Geburt zwei Beine auf denen sie hervorragend stehen können.) Naja, der musikalischen Kraft von Nummern wie „House Of Mirrors“ oder dem all-time-Killer „My Apocalypse“ tut das keinen Abbruch. Was dem Genuss der Show aber doch ein wenig schadet sind zum einen die oftmals völlig ausartenden Pits (wie immer: Was soll der Scheiß!?) und das hier und da doch etwas zu ausgiebig zelebrierte Sologewichse der Gitarristen. Klar, Jeff Loomis und Michael Amott sind Könner in ihrer Disziplin, aber muss das zwingend in Selbstbeweihräucherung ausarten? Dann doch lieber so wie in „The Eagle Flies Alone“, zu dem sich Alissa ein weißes Totenpriestergewand überstreift, das optisch nochmal ein zusätzliches Highlight abgibt. Dass Arch Enemy musikalisch aber nur gewinnen können, zeigen Songs wie „Handshake with Hell“, das zahlreiche Echos in der Halle findet, oder auch das epische „Sunset Over The Empire“. Zwischen dem Abriss „As The Pages Burn“ und dem Finale „Nemesis“ bietet das Instrumental „Snowbound“ eine kurze Verschnaufpause, ehe das obligatorische Outro „Fields Of Desolation“ einen (trotz gewisser Genussabstriche, die aber überwiegend dem Publikum anzulasten sind) monströsen Konzertabend würdig beendet.


17. Gaerea Wacken Open Air 04.08.2022

Diesmal gibt es auf dem W:O:A einige Neuerungen, die sich im Nachhinein, je nach Gemüt als Schnitzer oder Bereicherung erweisen. Der Wegfall der Zeltbühnen ist auch so ein diskutables Thema, denn die überdachte Location hatte in der Vergangenheit einen gehörigen Charme, der jetzt vor allem dem am Donnerstag auftretenden Black Metal-Billing abgeht. Erschwerend kommt hinzu, dass sich Sonnenlicht und Schwarzmetall erfahrungsgemäß kaum vertragen. Das wird auch Gaerea ein wenig zum Verhängnis. Allerdings wissen die Kapuzenträger diesen Umstand durch eine ekstatische Performance und hervorragende Musik auszugleichen. Nicht nur dank der optischen Präsentation, inklusive mystischen Symbolen an den Mikroständern und der entmenschlichten Selbstdarstellung der Band, gehen Gaerea am Ende als Gewinner vom Platz. Es ist schlichtweg die hervorragende Musik, die jedem Freund von eklektischem Schwarzmetall reinläuft wie Öl. Die melodischen Kompositionen laden dazu ein sich in einem Strudel aus Finsternis und Verzweiflung zu verlieren. Die Musiker wissen dem persönlichen Verlust aber durch eine energische und optisch ansprechende Performance entgegenzuwirken. Auch sehr schön: Der Sänger ist nicht ganz so kommunikationsscheu wie mancher Genre-Kollege sondern lässt sich hier und da zur ein- oder anderen Ansage hinreißen. Die fallen in Gänze zwar eher spartanisch aus, aber immerhin kann das verhüllte Wesen auch abseits des Gesangs sprechen. Außerdem muss der Band zugute gehalten werden, dass sie es trotz Sonnenlicht und sommerlichen Temperaturen schafft eine faszinierende Stimmung zwischen Beklemmung, Verzweiflung und spürbarem künstlerischen Ernst zu erzeugen. Einziger Wehmutstropfen der Show: Es ist hell und die Band hätte es durchaus verdient gehabt vor einem rappelvollen Platz zu spielen. Immerhin wächst die Menge vor der Bühne langsam aber stetig. Mit kleinen Einlagen und Gesten versteht es der Sänger außerdem der Darbietung und der Musik noch mehr Seele und Hingabe einzuhauchen. Das Publikum honoriert’s mit fliegenden Haaren und (immerhin) Applaus zwischen den Songs. Dass sich Gaerea außerdem mit jedem Song mehr in einen Strudel aus Verzweiflung, und Raserei spielen, zeugt von der Ernsthaftigkeit dieser Band, die als einer der Tagessieger vom Platz geht.


18. Belphegor Wacken Open Air 04.08.2022

Der Donnerstag findet ein blasphemisches Ende, denn Belphegor bereiten dem Publikum auf der W.E.T Stage eine Black/Death Metal Lehrstunde wie sie im Buche steht. Umgedrehte Kreuze, Feuerschalen und die ikonischen Christusskelette flankieren die blau erleuchtete Bühne. Zum barocken Streicherintro treten Helmuth und Co. in gewohnt martialischer Manier vor die Meute und steigen mit „Baphomet“ in ihren satanischen Reigen ein. Zwar gibt’s anfangs kurz ein Problem mit dem Mikro, aber der Soundmann regelt das zügig und so kommt die Crowd recht schnell in den Genuss von Helmuths Grunts. Die sind im Prinzip auch der einzige Kritikpunkt an der Show. Denn so brachial der Frontmann auf Platte growlt, live klingt seine Stimme irgendwie seltsam dünn. Beinahe wirkt es so als ob er seine Energie komplett zurückhält oder mit gänzlich anderer Stimmtechnik arbeitet. Aber sei’s drum: Alles andere an dem Gig ist ein Fest der finstersten Art. Helmuths manisches Auftreten mag der ein- oder andere nicht gut finden, aber dem Mann seine Bühnenpräsenz abzusprechen wäre absoluter Nonsens. Selbst vermeintlich banale Elemente wie ein kurzes, andächtiges Hinknien zwischen den Songs erzeugen eine rituell blasphemische Wirkung, die mit jedem Song an Reiz gewinnt. Egal ob Geschosse wie „Belphegor – Hell’s Ambassador“ oder pure Raserei wie im genialen „Stigma Diabolicum“, Belphegor spielen sich und die Fans in einen wahrhaft blasphemisch-finsteren Reigen, der sich gewaschen hat. Zwischendurch gibt’s immer wieder martialische Einlagen wie das rituell anmutende Präsentieren eines brennenden Ziegenschädels, die der Show einen gewissen Reiz verleihen und im Bandkontext auch irgendwie sein müssen. Die Fans quittieren das Konzert mit reichlich Pommesgabeln und Jubel zwischen den Songs, im Großen und Ganzen herrscht aber eher Stauen und interessiertes Lauschen vor als körperliche Eskalation, was dem Genuss der Show enorm zuträglich ist. Von den gegrowlten Ansagen zwischen den Songs kann man halten was man will (ein „Wacken, wie geht es euch“ in Black Metal-Screams hat aber Unterhaltungswert), musikalisch aber sind Belphegor ein Bank! Mit „Lucifer Incestus“ hat sich heute nur ein Song der älteren Bandvergangenheit in die Setlist verirrt, der sich aber qualitativ kaum vom Rest des Sets unterscheidet. Nachdem ein in Mönchskutte gekleidetes Helferlein die Feuerschalen am Bühnenrand entzündet, leitet „Virtus Asinaria – Prayer“ das beinahe andächtige Finale der Show ein. Das liegt einerseits daran, dass der Song ein eingängiger Stampfer ist, dessen Zeilen unweigerlich im Ohr bleiben, anderseits sind die Kenner des Songs heute eher in der Minderheit (das Album „The Devils“ ist zu diesem Zeitpunkt schließlich erst ein paar Tage draußen). Aber sei’s drum: Der Qualität des Gebotenen tut das keinen Abbruch. Im Gegenteil: Als das rasende „Totentanz – Dance Macabre“ die Show mit allerlei Pyros und Nebel beendet, entlassen Belphegor die Meute zufrieden in die kalte Nacht.


19. Epica Wacken Open Air 03.08.2022

Mit dem Wacken Wednesday haben sich die Veranstalter dieses Jahr erstmalig eine Erweiterung des Festivals einfallen lassen. Anstatt erst am Donnerstag wird die Louder-Bühne bereits am Mittwoch bespielt. Neben einigen kleineren Acts haben sich dafür u.a. auch Epica eingefunden. Bei Simone Simons und ihren Mitstreitern weiß man im Grunde immer was man bekommt: Epischen und harten Symphonic Metal, der sowohl live als auch auf Platte nahezu fernab jeglicher Konkurrenz agiert. Diesmal flankieren zwei stählerne Kobra-Figuren die Bühne vor der sich eine durchaus beachtliche Menge Fans eingefunden hat. Wie immer ist zwar das Tageslicht der Show eher weniger zuträglich, der Musik tut das aber keinen Abbruch. Epica liefern ein etwas mehr als einstündiges Best-Of Set ab, das kaum Wünsche offen lässt. Nach dem hervorragenden Opener „Abyss of Time – Countdown to Singularity“ vom aktuellen „Omega“-Album begibt sich die Band auf einen Streifzug durch ihre Diskografie, der sämtliche Qualitäten und Facetten der Holländer präsentiert. Simone Simons ist (wie immer) hervorragend bei Stimme und ist sowohl Blickfang als auch Aktivpart der Show. Überhaupt ist die Dame mit einer einnehmenden Bühnenpräsenz gesegnet, die sie bestens zu nutzen weiß. An mancher Stelle könnte man sich die Growls der Gitarristen etwas kräftiger wünschen, aber im Großen und Ganzen tut das dem Genuss von halsbrecherischen Nummern wie „Victims of Contingency“ keinen Abbruch. Natürlich schlüpft auch Keyboarder Coen Janssen diesmal wieder in die Rolle des Anheizers. Der Mann tobt nicht nur hinter dem Keyboard umher wie ein Derwisch sondern schnallt sich auch das ein- oder andere mal die tragbare Version seines Instruments um und rennt und springt auf der Bühne umher. Highlights des mit Hits gespickten Sets sind sicherlich das großartige „Unchain Utopia“ sowie die beiden Abschlussknaller „Beyond The Matrix“ und „Consign To Oblivion“. Da aber Epica im Grunde genommen keine merklich abfallenden Songs im Gepäck haben und top bei Laune sind, springt diese Energie sofort auf das Publikum über. So auch bei neuerem Material wie dem hervorragenden „The Skeleton Key“ bei dem die Crowd geschlossen mit klatscht. Um ihr 20-Jähriges Bestehen zu feiern folgt mit „Cry For The Moon“ dann der älteste Epica-Song des Sets, wobei auffällt, dass über die Zeit des Bestehens und der diversen Alben kaum bis keine Qualitätsschwankungen in der Musik auszumachen sind. Das spricht einmal mehr für die Qualität dieser Band. Wie immer gibt es auch ein paar Skurrilitäten seitens des Publikums zu bestaunen. Egal ob das aufeinander stehende Menschen sind welche die Sicht nach vorne behindern, oder ob es die ein- oder andere farbliche Geschmacksverirrung ist. Aber irgendwie gehört das ja auch dazu und der Musik tut es keinen Abbruch. Im Grunde lässt sich auch kein wirkliches Highlight des Sets herauspicken, genauso wenig wie es ein Haar in der qualitativen Suppe zu finden gibt. Mit „Sancta Terra“ hält ein bisschen mehr Drama Einzug und ein kleiner Circle-Pit beginnt seine Runden zu drehen. Eigentlich ist es aber egal ob Epica härteres wie „The Obsessive Devotion“ (doch ein Highlight!) oder Hits der Marke „Beyond The Matrix“ ins Publikum feuern, hier bleibt heute kaum ein Auge trocken, denn musikalische Qualität trifft auf ausgehungerte Fans. Dementsprechend frenetisch wird gefeiert. Einziges Problem einer Show bei Tageslicht ist leider, dass die Lightshow nahezu komplett untergeht, aber geschenkt: Wer sein Set mit einem Kracher wie „Consign to Oblivion“ abschließt, der kann nur gewinnen. Ob’s die Aufforderung zur Wall Of Death braucht ist dagegen Geschmacksache, aber auch geschenkt: Epica fahren zum Abschluss nochmal alles auf was sie haben. Drama, Aggression und personelles Charisma in Hülle und Fülle! Ganz starke Show einer Band die in ihrem Genre nach wie vor ganz vorne mitspielt!


20. Any Given Day, Defocus, As Time Went By München Backstage Werk 21.07.2022

Nach über zwei Jahren Live-Abstinenz hat das erste Konzert fast etwas Reinigendes. Es wirkt wie ein Befreiungsschlag. Gleichzeitig schwingt im Vorfeld aber doch Skepsis mit. Wie wird die Stimmung sein? Wie wird der Autor dieser Zeilen das Konzert erleben? Nachdem zu As Time Went By erstmal noch verhältnismäßig wenig los ist, füllt sich das Backstage Werk dann doch recht schnell. Ob’s daran liegt, dass beim Free & Easy Festival alle Eintritte grundsätzlich frei sind? Egal, denn As Time Went By eignen sich recht gut um die Meute auf Betriebstemperatur zu bringen. Zwar will sich auf Dauer kein einziger Moment des Sets wirklich im Gedächtnis festsetzen, aber trotzdem: Mit seinem durchaus aggressiv ballerndem Modern Metal/Metalcore-was-auch-immer Cocktail ist der Fünfer heute gut aufgehoben im Backstage Werk. Darüber hinaus gibt’s Pluspunkte für das irgendwie scheiße-schöne Hawaiihemd meets Totenkopf Outfit des Frontmanns. Auch Defocus wären mit ihrem modern tönenden Core-Mischmasch ein passender Anheizer für den Headliner, allerdings verhunzt der Soundmann die ersten Songs doch ein wenig zu sehr, sodass unter musikalischen Gesichtspunkten keine nennenswerte Steigerung zu erkennen ist. Das scheint dem Großteil der Anwesenden aber egal zu sein, denn im Publikum ist nach und nach doch einiges los. Vor allem die heftigen Breakdowns der Songs verleiten den ein- oder anderen Besucher zu deutlich mehr als Aufwärmübungen. Dass es aber eine durchaus undankbare Aufgabe ist, vor Any Given Day zu spielen zeigt sich als „Apocalypse“ wie ein Sturm über das Backstage hereinbricht. Allerspätestens bei „Never Surrender“ kocht der Laden über und die Crowd springt, tanzt und singt als gäbe es kein morgen. Noch ein bisschen wilder wird das bei „Endurance“, zu dem die Halle aus voller Kehle mit brüllt. Die Band ist bestens aufeinander eingespielt und vor allem Sänger Dennis ist top bei Stimme. Eigentlich ist das keine Seltenheit, nach so langer Abstinenz fällt es aber umso mehr auf wie sehr dieses Gefühl doch gefehlt hat: Ein wilder Haufen von (Un)Bekannten feiert ein rauschendes Fest, schlicht und einfach wegen der Musik. Das ist Leben, das ist Ekstase und das ist vor allem Freiheit. Zumindest wirkt es an diesem Abend so. Mit jedem Song stacheln sich Publikum und Band weiter an und Stücke wie „Loveless“ (Highlight!), „Levels“ oder das tonnenschwere „Never Say Die“ lassen die Temperatur im Backstage stetig ansteigen. Grundsätzlich präsentieren sich Any Given Day auch heute wieder als smarte Jungs, die sich einfach darüber freuen für ihre Fans spielen zu dürfen. Sympathisch! Mit einer Akustikversion von „Home Is Where The Heart Is“ kommt sogar sowas wie Gänsehautstimmung im Backstage auf. Noch dazu zeigt diese Version, dass der Musik von Any Given Day durchaus auch eine zerbrechliche Seite inne wohnt, die sie mit solchen Versionen gerne öfter zeigen dürften. Mit diesem Song leitet die Band in den emotionalsten Teil des Abends ein. „Lonewolf“ verwandelt das Backstage in einen einzigen Chor und erzeugt tatsächlich zentimeterdicke Gänsehaut, bevor nach „Ignite the Light“ und dem hammermäßigen „Arise“ aber erst mal Schluss ist. Allzu lange lässt sich die Band aber nicht bitten und mit „Start Over“ gelingt ein furioser Auftakt in den Zugabeblock. Es wird gefühlt immer heißer und schwitziger im Backstage und ja, evtl. merkt mancher Besucher, dass die Kräfte schwinden, da würde sich das Scorpions-Cover „Wind Of Change“ eigentlich gut zum durchschnaufen eignen. Das Problem aber ist, dass die Nummer erstens, komplett ausgelutscht ist und zweitens in einen fragwürdigen politischen Kontext gesetzt wird. Naja, das Backstage singt trotzdem…Nach einer irgendwie rührigen Verabschiedung reißt „Saviour“ aber wieder einiges raus. Der Refrain schallt durchaus achtbar von der Crowd wider und auf der Bühne geben die Herren nochmal alles. Gleiches gilt für die Fans: Es wird getanzt, gesungen, es geht rund. Am Ende gibt’s noch das obligatorische Foto und einen fetten Dank an die Fans. Nachdem die folgenden „Zugabe“-Rufe geflissentlich ignoriert werden und die Lichter angehen sickert es langsam ins Hirn, dass die Show vorbei ist. Es war, trotz klitzekleiner Schönheitsfehler ein Fest.

Persönlicher Nachtrag: Dieses Konzert dürfte für mich persönlich als einer der intensivsten und eindrücklichsten Gigs seit langem in Erinnerung bleiben. Schlicht und einfach deshalb, weil dieses Gefühl von Freiheit, von Gemeinschaft und unbedingter Freude am Leben so lange nicht spürbar war. Danke dafür!


21. Avantasia Wacken Open Air 03.08.2022

Zugegeben: Ein adäquater Ersatz für den ursprünglich als Headliner angekündigten Lindemann sind Avantasia nicht, aber das muss auch gar nicht sein, schließlich ist Tobias Sammets Metal-Oper kaum mit dem musikalischen Schaffen Till Lindemanns zu vergleichen. In puncto Show legt sich der Mastermind heute aber ordentlich ins Zeug. Man kann von seiner Quasselstrippen-Attitüde halten was man will, musikalisch liefert der Mann mit Avantasia seit jeher feinsten Operetten-Metal mit zahlreichen Gästen ab. Diese Gäste sind auch immer wieder Thema für die Nörgel-Fraktion. Spötter behaupten ja gerne mal, dass sich Herr Sammet immer die Sänger ins Boot holt zu denen er selbst niemals aufschließen könnte (was hier und da sicher auch stimmen mag), aber um ein Giganten-Projekt wie Avantasia über so lange Zeit auf qualitativ doch recht stabilem Niveau am laufen zu halten bedarf es doch etwas mehr als Freizeit-Metallertum. Dass der Frontmann heute außerdem vor allem die Musik sprechen lässt, kommt der Show merklich zu Gute. Denn egal ob mit Ralf Scheepers („Reach Out for the Light“ und „The Wicked Rule the Night“) oder Eric Martin („Dying For An Angel“ und „Avantasia“), Avantasia geben Gas als gäbe es kein morgen. Es wirkt fast so als müssten die Musiker sämtliche Live-Gigs die den vergangenen zwei Jahren zum Opfer gefallen sind an diesem einen Abend nachholen. Hier und da übertreiben es die Sänger zwar mit den Höhen („The Wicked Rule the Night“), aber dank der verschiedenen Stimmen kommt eine Vielzahl von Fans auf ihre Kosten. Natürlich sind auch die Backgroundstimmen heute wieder essenzieller Bestandteil der Show und Adrienne Cowan, Herbie Langhans und Co. machen einen exzellenten Job. Wie immer fällt auch die Dramaturgie der Show erstklassig aus. Da kommen auch die diversen Mitmach-Spielchen des Masterminds ganz ordentlich an und außerdem gehört das ja irgendwie zu einem Avantasia-Konzert dazu. Auch Herr Sammets dankbare Ansagen an seine Gäste wirken nicht aufgesetzt und lassen den Frontmann einmal mehr sympathisch erscheinen. Mit „Twisted Mind“ gibt’s außerdem einen Einstieg nach Maß, bei dem Tobi von Anfang an jedem Nörgler zeigt, dass er eben doch ein starker Frontmann und Sänger ist. Zwar bleiben die großen stimmlichen Überraschungen weitestgehend aus und auch heimliche Wunschkandidaten wie Mille Petrozza oder Hansi Kürsch lassen wieder auf sich warten, aber die anwesenden Bob Catley und Co. (u.a. „The Story ain’t over“) sind wie gewohnt erstklassig. Außerdem hat sich Tobi mit Adrienne Cowan eine stimmliche Goldgrube geangelt, die von Screams („Book of Shallows“) bis zu dezentem Hintergrundgesang alles sehr gut umsetzt. Natürlich ist das Ganze mal schmalzig, mal überbordend kitschig, aber hey, das sind Avantasia. Außerdem gibt es mit dem Zwölfminüter „Let the Storm Descend Upon You“ einen superben Kontrastpunkt, bei dem das Publikum, aber auch die Musiker immer weiter aufdrehen. Im Vergleich zu den folgenden Tagen kommt zwar noch nicht ganz so viel Energie auf, das kann aber auch an einem Art „Gewöhnungseffekt“ liegen. Immerhin ist der Mittwoch diesmal ein Premierentag. Gut, ein Song wie „Avantasia“ wirkt schon arg kitschig und „Farewell“ treibt das sogar nochmal auf die Spitze, aber was funktioniert darf sein. Genauso wie es sein darf, das Tobi dem Kameramann an der Bühne ein Bier als Respektbekundung ausgibt. Bevor sich Avantasia mit den Zugaben „Lost in Space“ und einer XXL-Version von „Sign of the Cross / The Seven Angels“ (mit allen heute beteiligten Stimmen) verabschieden, gibt’s mit „Mystery Of A Blood Red Rose“ noch DIE Meat Loaf-Huldigung auf die Ohren, die wie immer bestens ankommt. Am Ende erweisen sich Avantasia als würdiger Headliner für den Wacken Wednesday, der mit diesem Konzert ein wunderbares Ende findet.


22. Battle Beast, Future Palace München Neue Theaterfabrik 08.09.2022

Die Kulisse des heutigen Abends hat etwas extravagantes. Denn die Neue Theaterfabrik in München ist ein bisschen im Stil eines (wie der Name schon sagt) Theatersaals gehalten und passt damit sehr gut zum aktuellen Tourmotto „The Circus Is Coming To Town“ von Battle Beast, die ja mit ihrem Album „Circus Of Doom“ im Gepäck unterwegs sind. Bevor aber Noora Luhimo und ihre Mannschaft die Bühne entern dürfen erstmal Future Palace ran. Das Berliner Trio ist bereits aufgrund der Besetzung interessant: Die Sängerin wird von einem Drummer und einem Gitarristen, der auch gleichzeitig der Aktivposten der heutigen Show ist, flankiert. Aber was stimmen muss ist die Musik und ja, die kann sich durchaus hören lassen. Mit ihrem modern tönendem Sound (der heute bestens abgemischt und klar ausdifferenziert durch die Halle tönt) irgendwo zwischen Metal, Rock und Pop zelebriert die Band einen musikalischen Mix bei dem Energie und Gefühl sehr nah beieinander liegen. Da passt es auch irgendwie gut ins Bild, dass die Sängerin anfangs noch arg schüchtern wirkt, mit der Zeit aber immer mehr auftaut und sich u.a. mit deutlichen Ansagen gegen häusliche Gewalt positiv positioniert. Aber auch stimmlich ist die Dame bestens aufgestellt: Von aggressiven Screams mit ordentlich Volumen, bis hin zu grazilem Klargesang stellt sie von Anfang an ein breites Spektrum an ehrlichen Emotionen zur Schau. Das wird auch immer mehr vom Publikum honoriert und so kommt zu stimmungsvollen Songs wie „Fever“ (Highlight), dem fantastischen „Ghost Chapter“ oder auch „Heads Up“ ein bisschen Bewegung in die Menge. Am Ende gehen Future Palace unter verdientem Applaus von der Bühne. Nach dieser hervorragenden Aufwärmrunde wird der folgende Umbau u.a. mit Led Zeppelin aus der Konserve passend untermalt, bevor Battle Beast den Zirkus nach München bringen. Und der funktioniert heute bestens, Noora Luhimo und ihre Mannschaft sind wie immer top aufeinander eingespielt und bei bester Laune. Der Einstieg „Circus of Doom“ macht sofort klar wohin die Reise geht: Hin zu einem fantastischen Abend voller Pomp, Show und energiegeladenem Kitsch-Metal, Battle Beast eben. „Straight to the Heart“ und „Familiar Hell“ halten das Energielevel hoch, bevor neueres Material wie „Armageddon“ oder „A Place That We Call Home“ zum Zug kommt. Sicherlich mag der eine oder andere Fan darüber streiten, ob der Zuwachs an Pomp und Drama in den neueren Songs jetzt gut oder schlecht, zu weich oder zu kitschig ist, aber fakt ist: Die Songs fügen sich bestens in die Setlist ein, regen genauso zum Tanzen und kollektiven Durchdrehen an wie älteres Material und lassen sich mindestens genauso gut mitsingen wie fetzige Kracher der Marke „Bastard Son of Odin“, das heute auch wieder für eine ekstatische Stimmung sorgt. Dass sie aber nicht immer Vollgas geben müssen um die Fans zu verzücken, zeigen Noora Luhimo und ihre Mannschaft u.a. mit dem grandiosen (!) „Where Angels Fear to Fly“, das ja durchaus als Ballade bezeichnet werden kann. Zwischendurch verschwimmt die Grenze zwischen Rock-Show und Zirkus-Klamauk dann doch ein wenig, denn der ehemalige „Battle Beast-Bitch Offender“ wird heute als der „Battle Beast-Schlagerwagen“ präsentiert (eieiei…) und natürlich wird diese Vorstellung ausgiebig zelebriert. Das heißt der Mann an den Keyboards vollführt auf der, doch eher kleinen, Bühne ein paar Drehungen mit seinem Instrument, während ihm vom Bassist ein Flasche Flüssigbrot einverleibt wird. Kann man machen, ist auch ganz witzig und irgendwie gehören diese Elemente ja mittlerweile zu einer Battle Beast-Show dazu. Weitere Highlights des Sets sind u.a. „Wings Of Light“ (das fleißig mitgesungen wird) oder auch Stücke wie „Eden“, das für die eine oder andere Tanzeinlage vor der Bühne sorgt. Mit einem unschlagbar guten Triple bestehend aus „Master Of Illusion“, „King For A Day“ und dem grandiosen Finale „Beyond The Burning Skies“ verabschieden sich Noora Luhimo und ihre Kumpanen von den Münchner Fans. Es war ein Fest! Einziger Wehmutstropfen: Es war zu kurz. Die Show ist so schnell wieder rum wie sie begonnen hat und am Ende steht man als Fan doch ein bisschen bedröppelt da und fragt sich: War’s das jetzt? Ja, das war’s und es war gut.


23. Tarja Wacken Open Air 06.08.2022

Auch wenn Tarja wohl nie wirklich völlig unabhängig von ihrem Schaffen mit Nightwish betrachtet werden wird (zu einflussreich, schlicht zu gut ist dieses Kapitel ihrer musikalischen Karriere), so hat sie sich doch auch nicht erst seit gestern als ernstzunehmende Solokünstlerin etabliert. Und dass sie auch alleine nach Wacken gehört zeigt sie an diesem Samstag mit Nachdruck. Das fängt damit an, dass die Fans schon zum theatralischen Intro aufgeheizt sind und endet damit, dass besonders die Songs neueren Datums einen nicht unerheblichen, metallischen Touch haben. Mit „Dead Promises“ geht’s gleich ohrwurmmäßig los, wenn auch der Gitarrist hier und da noch an seinen Sangeskünsten arbeiten darf. Tarja dagegen ist bestens bei Stimme und auch sehr gut drauf. Sie animiert das Publikum von der ersten Sekunde an zum mitmachen und wirkt überhaupt quietschfidel. Natürlich kann man von der überbordenden Demut und Dankbarkeit der Dame halten was man will, unsympathischer macht es sie aber kaum. Ein bisschen schade ist das „Demons in You“ heute ohne Alissa White-Gluz vorgetragen wird, denn die ersatzweisen Growls des Gitarristen füllen diesen Part nicht mal ansatzweise aus. Aber naja, ein guter Song bleibt ein guter Song. Überhaupt fällt auf, dass die besten Momente doch die sind in denen es mehrstimmig zugeht. Egal ob das Refrains wie der von „Falling Awake“ sind, oder ob das die Doppelung der eigenen Stimme in „Victim of Ritual“ ist. Optisch macht neben Tarja selbst vor allem der Bassist einiges her, denn so lässig-cool wie der sonnenbebrillte Mann seine Saiten zupft, stellt er doch einen interessanten Kontrast zur gebotenen Musik dar. Songtechnisch beackert Tarja heute sämtliche ihrer Solo-Werke, was auch ein recht breites Stimmungspotpourri nach sich zieht. Aber egal ob dramatische Melancholie mit eine erheblichen Portion Riffs vermählt wird („Diva“), oder ob „Over The Hills And Far Away“ Klassiker-Alarm erzeugt: Heute funktioniert das alles bestens. Außerdem macht es einfach Spaß zu sehen mit welcher Freude, vielleicht auch immer noch einem Stück weit Naivität Tarja zu Werke geht. Das ist ansteckend und hat Charme, außerdem macht das Publikum bei den raren Mitsingspielchen dann gleich nochmal lieber mit. Zwar bleibt die eine oder andere instrumentale Schrägheit nicht aus (an mancher Stelle macht sich das Cello doch sehr selbstständig), der Energie und der Freude der Fans tut das aber keinen Abbruch. Das merkt auch Tarja selbst und bedankt sich mehrmals überschwänglich. Mit dem getragenen Groover „Innocence“ und „I Walk Alone“ zeigt sie sich außerdem von ihre musikalischen Sahneseite, was die Fans ganz anständig honorieren. Mit einem sympathischen Abschiedsdank und dem proklamatischen „Until My Last Breath“ verabschiedet sich Tarja positiv-energisch von den Fans, die am Ende fleißig Applaus spenden. Schön war‘s.


24. Metallic X-Mas 2022: Knife, Asphagor, Pequod, Glare of the Sun, White Mantis München Backstage Halle 26.12.2022

Es weihnachtet im Backstage und damit gleich mal die passende Stimmung bei den Konzertgästen aufkommt, darf sich jeder Besucher am Eingang zum Metallic X-Mas 2022 ein Überraschungsgeschenk aussuchen. Dafür stehen die freundlichen Wichtel des Backstage am Eingang und halten Kisten mit allerlei Überraschungen wie T-Shirts und dergleichen bereit. Sehr schöne Geste! Dank schonmal dafür. Aber zur Musik: Mit Knife, Asphagor, Peqod, Glare of the Sun und White Mantis hat sich ein durchaus brauchbares Bandpaket zusammengefunden um den letzten Weihnachtsfeiertag gebührend ausklingen zu lassen. Da ist es doch etwas schade, dass sich der Zuschauerandrang in Grenzen hält. Die wenigen Nasen die sich bereits zu White Mantis in der Halle befinden, bekommen aber auch ein Programm um die Ohren gepfeffert, das nach und nach die Frage aufwirft, ob die noch nicht Anwesenden vielleicht gar nicht so daneben lagen mit ihrer Entscheidung. Das derbe Getrümmer kann anfangs zwar noch den ein- oder anderen Reiz setzen, aber spätestens nach dem zweiten Song wird das Ganze sehr eintönig und damit auch etwas ermüdend. Trotz ein, zwei enthusiastischen Fans hält sich die Trauer seitens des Publikums eher in Grenzen als das Set vorbei ist. Glare of the Sun haben danach den Vorteil, dass während des Umbaus u.a. Iron Maiden aus der Konserve tönen, was die Stimmung merklich hebt. Aber auch mit ihrer eigenen Musik können die Österreicher überzeugen. Ihr zäher Death-Doom entwickelt, nach einem etwas holprigen Start (der vielleicht auch dem live-Soundcheck geschuldet ist), immer mehr Tiefe und wird von der düsteren Lightshow sehr passend in Szene gesetzt. Dass zum Schluss auch noch Zeit für das ein- oder andere kleine Schwätzchen mit den Fans am Bühnenrand ist, macht die Band außerdem sympathisch und bodenständig. Und wieder macht sich die Umbaumusik bezahlt. Metallica gehen schließlich immer und auch der übrige Thrash Metal-Soundtrack macht Lust auf das was folgt. Pequod klopfen sich zwar eher durch ein Death metallisches Tongebräu, können aber nach und nach immer mehr überzeugen. Vielleicht liegt’s auch daran, dass mittlerweile mehr los ist. Da machen auch die etwas holprig wirkenden Ansagen des Sängers nix, im Gegenteil: Bei dem ein- oder anderen Besucher punktet der Mann durch Sympathie und einer starken Performance. Dass das Highlight des Sets neben dem epischen Finale „Love Lies in Ruins“ ausgerechnet das knallende Cover von Sodoms „Agent Orange“ ist, zeigt aber auch, dass die Band im großen und ganzen durchaus noch an ihrer Eigenständigkeit arbeiten darf. Trotzdem kann die Chose musikalisch überzeugen, auch wenn das Ende des Sets zum richtigen Zeitpunkt kommt. Asphagor zaubern danach eine ordentliche Portion Düsternis ins Backstage. Nicht nur der Mikro-Ständer, der mit allerlei Knochen und einer Skelettfigur geschmückt wird, zeugt davon, dass es jetzt in Richtung Schwarzmetall geht. Auch die Aufsteller sind mit allerlei mystischen Symbolen verziert und die uniforme Lederkuttenkluft der Band verstärkt den schwarzen Eindruck zusätzlich. Insgesamt ballern sich die Österreicher durch ein mehr als ordentliches Black Metal-Set, bei dem sie von Anfang an überzeugen können. Dank packender Melodien und gutem Sound erschaffen die Songs auch eine passend rituell angehauchte Stimmung, die dem düsteren Sound natürlich bestens zu Gesicht steht. Tracks wie der epische Abschluss „Aurora Nocturna“ adeln Asphagor auf jeden Fall zu den Gewinnern des Abends. Nach dieser ritualhaften Darbietung bieten Knife wieder ein Kontrastprogramm. Nicht nur herrschen jetzt wieder T-Shirt und Jeans vor, auch musikalisch haut der thrashige Metalpunk der Herren um einiges direkter auf die Birne. Erstaunlicherweise ist der hysterische Sound inklusive Kreischgesang aber alles andere als eintönig oder nervtötend. Vielmehr schwappt die Energie der Band literweise aus den Boxen, was natürlich auch zu einem erheblichen Teil an den wilden Eskalationen des Frontmanns liegt, der (nicht nur) damit stellvertretend für die Band einen Haufen Sympathiepunkte einsackt. Um mal ein paar musikalische Brüder im Geiste zu zitieren: Knife bieten heute eine schöne Packung „good friendly violent fun“ und machen damit als doch ordentlicher Headliner mit den knappen Abschiedsworten „Danke, ihr wart geil!“ den Sack zu. Damit bleibt am Ende ein doch überwiegend positiver Eindruck eines schönen, weihnachtlichen Konzertabends.


25. Lionheart, Terror, Get The Shot, Dying Wish München Backstage Werk 18.10.2022

Ob die Lionheart Tour jetzt eine Co-Headliner Tour mit Terror ist, oder ob letztere als hochkarätiger Support mit dabei sind, ist im Vorfeld nicht wirklich ersichtlich. Mit Get The Shot und Dying Wish sind aber auch zwei Namen jüngeren Datums mit am Start, die sichtbar als Anheizer auf den Abend fungieren. Den Anfang machen in dieser Rolle Dying Wish, die leider ein bisschen die A-Karte ziehen, denn die Halle ist bisher eher überschaubar gefüllt. Vielleicht ist das aber auch eine Motivationsspritze für die Band, die von Anfang an Vollgas gibt. Der Fixpunkt der Show ist dabei zum einen Sängerin Emma Boster, die zwar zierlich wirkt, aber von einer Sekunde auf die andere zu einem höchstaggressiven Brüllwürfel mutiert und u.a. auch die eine oder andere Kampfsporteinlage zum Besten gibt. Diese Energie ist einerseits ansteckend, was sich u.a. an ein paar völlig durchgeknallten Karatekämpfern im Publikum bemerkbar macht, auf der anderen Seite wird die Musik aber sehr schnell eintönig. Da hilft es auch nicht allzu viel, dass der Gitarrist sein Instrument immer wieder umherschleudert, was zwar gut aussieht, aber soundmäßig eben nix bringt. Am Ende verpufft die Energie dann auch wieder sehr schnell, was schade ist. Get The Shot setzen da noch einen drauf und prügeln so dermaßen stumpf drauflos, dass es irgendwie fast witzig ist. Vielleicht liegt das aber auch am Sound, der hier und da besser sein könnte. Naja, auf alle Fälle gibt sich die Band und besonders der Frontmann sehr nahbar, indem er immer wieder Fans auf die Bühne holt oder selbst in den Moshpit springt. Ob es diese Nähe ist, die dafür sorgt, dass das Publikum sehr heftig eskaliert? Möglich, auf alle Fälle nimmt mancher Fan die eine oder andere Ansage sehr wörtlich, denn der Moshpit dehnt sich um einiges aus und auch die Karatekämpfer drehen völlig durch. Da wünscht man sich als Beobachter fast, dass sie sich gegenseitig umhauen. Denn wäre der Laden voll würde das doch extrem nerven. Am Ende der schweißtreibenden Show bleibt aber aus musikalischer Sicht noch weniger hängen als beim Opener. Dass die meisten Besucher aber vor allem wegen Terror da sind macht sich an der mittlerweile doch ordentlichen Publikumsfülle in der Halle bemerkbar. Mit „Pain Into Power“ hat die Band nicht nur ein famoses neues Album im Gepäck, es sind auch Schoten wie „Always the hard Way“ und besonders der abschließende Klassiker „Keepers of the Faith“ die dafür Sorgen, dass die Fans komplett ausrasten. Mit sympathischen Ansagen und einer nahbaren Attitüde sorgt Frontmann Scott Vogel außerdem dafür, dass Terror heute der heimliche Headliner des Abends sind. Egal ob er immer wieder daran erinnert, dass die Barriere vor der Bühne der Band ein Dorn im Auge ist, oder ob er die Fans daran gemahnt aufeinander aufzupassen und sich gegenseitig aufzuheben, bevor er eine Pit-Granate nach der anderen ankündigt: Terror räumen heute auf ganzer Linie ab und gehen als heimlicher Headliner des Abends von der Bühne. Diesen Status untermauert die Band u.a. dadurch, dass sie die Verbundenheit zu den anderen Bands des Abends sichtbar macht indem z.B. Emma Boster von Dying Wish für einen Song mit auf die Bühne kommt, rumbrüllt und dann freudig ins Publikum springt. Das hat tatsächlich was von einem Familientreffen. Lionheart werden ihrem Headliner-Slot nach dieser Sause leider aus mehrerlei Gründen nicht gerecht. Das fängt damit an, dass die Rap-Musik aus der Konserve während der Umbaupause schlichtweg nervt, auch wenn sie irgendwie passt. Weiter geht’s damit, dass die beiden „L“ und „H“-Aufsteller an den Bühnenseiten zwar schick aussehen, aber auch die Sicht auf den Drummer und nahezu die komplette hintere Bühne versperren, was dem Feeling eher weniger zuträglich ist. Natürlich wird zu jeder Zeit deutlich, dass die Band aus Profis besteht und vor allem der Bassist „Big Boy“ weiß die Menge gekonnt zu unterhalten, aber die familiäre Atmosphäre von zuvor geht ein bisschen flöten. Vielleicht liegt’s auch daran, dass der Frontmann hier und da doch ein wenig arrogant wirkt. Naja, dem Gros der Fans ist das aber egal, denn gefeiert wird trotzdem. Am Ende packen Lionheart mit der knappen Verabschiedung „We’re Lionheart, Peace!“ den Deckel auf einen, unterm Strich, gelungenen Konzertabend im Zeichen des Hardcore.

Dominik Maier

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