Januar 2022

Infected Rain – Ecdysis

Ja, Infected Rain fahren auf „Ecdysis“ in weiten Teilen immer noch die stilistische Achterbahnfahrt die auch ihre vorherigen Alben auszeichnete. Hier lässt steroidgedopter Deathcore genauso die Muskeln spielen wie sich zerbrechlich anmutender Seelenstriptease Bahn bricht. Das Epizentrum der Musik ist nach wie vor die charismatische Fronterin Lena Scissorhands. Im Vergleich zu den Vorgängerwerken klingt die Band aber mehr nach einer Einheit und das obwohl (oder gerade weil) die Musik vielseitiger ausfällt als bisher. Songs wie „Fighter“ suggerieren heftige Geschwindigkeitsausbrüche, überraschen aber mit beständigem Aufbau, der von kleinen Breaks durchsetzt wird, insgesamt aber im alles plattwalzenden Midtempo verweilt. Es scheint so als habe die Band mittlerweile vollends begriffen, wie sie die lesenswerten Texte bestmöglich in Szene setzt. Wenn das bedeutet auch mal einen Gesangspart abzugeben, dann bitte: In „The Realm of Chaos“ bekommt Lena tatkräftige Unterstützung von Butcher Babies-Fronterin Heidi Shepherd, deren Gebrüll den Song nochmal um einiges wütender macht. Dass Lena in Songs wie „Showers“ oder „Everlasting Lethargy“ tiefer denn je in ihr von restriktionsbedingten Einschnitten im Alltag gekennzeichnetes Seelenleben blicken lässt, macht die Texte sehr nahbar und für jeden direkt nachvollziehbar. Vor allem aber lässt es die Fronterin mehr denn je sympathisch und ehrlich erscheinen, eben weil sie keinen Hehl aus ihren Kämpfen und Herausforderungen macht. Mit dem zuvor erwähnten „Showers“, „November“ und vor allem dem aufwühlenden „Never the Same“ spinnt die Band gar eine zusätzliche emotionale Story. Eine Geschichte in der Geschichte sozusagen, die sich fast schmerzlich aufbaut, immer untermahlt von beklemmenden Synthies und kalter Elektronik. Dann wieder von Eurodance-mäßigen Beats unterfüttert wird („November“), ehe sich bulliger Groove Platz schafft. Wieder sorgt der Text dafür, dass die Nummer bei aller Härte und trotz des prolligen Gesangs direkt ans Herz geht. In „Nine, Ten“ wird der betörende Gesang von pulsierenden Beats unterstützt was die Gegensätzlichkeit dieser Band bestens vertont. „Postmortem Pt 2“ schließt dann den Kreis der mit dem Opener „Postmortem Pt 1“ eröffnet wurde. Interessant ist, dass die Melodien beider Songs ziemlich gleich sind, ihre Stimmung aber sehr unterschiedlich ausfällt. Während ersterer noch spürbar nach Aufbruch klingt, weicht die Wut im letzten Song einer bedrückenden Stimmung an deren Ende eine persönliche Erkenntnis steht, die dieses durchaus aufwühlende und oft zermürbenden Album mit versöhnlichen Worten beschießt: „Dive fearlessly into a new chapter | Full with life, full with laughter!“. Wenn das keine Botschaft an und für das Leben ist! Infected Rain bleiben Kämpfer und haben mit „Ecdysis“ ihr bisheriges Meisterwerk abgeliefert.

Dominik Maier

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