Mai 2023

The Ocean – Holocene

War der Vorgänger ein kolossaler Doppeldecker, der trotz seiner Vielseitigkeit hart und schwer verdaulich ausfiel, kehrt auf „Holocene“ eine gewisse Ruhe ein. Der thematische Überbau dreht sich im groben um die Erde, ihre Kontinente, die Meere und um die ständige Symbiose und Polarität dieser Elemente. Diese vielseitige Thematik resultiert in einer achtteiligen musikalischen Reise, die in ihren Grundzügen ruhig, beinahe bedacht ausfällt, in ihren Details aber keineswegs weniger ergreifend als die Vorgänger wirkt. Traumwandlerische Melodien verwandeln sich mit der Zeit in eine packend inszenierte Dystopie zwischen Hoffnung und der Angst vor Veränderung, was immer wieder an Bildern und Metaphern mit Bezug zur Natur festgemacht wird (u.a. „Atlantic“). Die Melodien lullen den Hörer selbst dann ein, wenn sich brachiale Grooves und wutverzerrtes Geschrei einen Weg durch die vordergründige Leichtigkeit bahnen. Dabei wird aber klar: Leicht oder gar angenehm im klassischen Sinn ist hier nichts. Selbst das wehmütige Opus „Unconformities“, das von Karin Parks stimmlicher Sehnsucht veredelt wird und dank der Bläser immer wieder Momente eines vertonten Sonnenaufgangs erzeugt, zerrt an den Nerven. Ja, es klingt wunderschön und licht und trotzdem liegt in diesem Stück viel Schmerz verborgen, wie der eruptive Ausbruch gegen Ende aufzeigt. Und obwohl das beileibe nicht der einzige Kontrast dieses Albums ist, wirkt die Geschichte, die The Ocean hier erzählen keineswegs zerrissen. Die Band malt auch nicht schwarz und verharrt schon gar nicht in irgendwelchen Genres. Die Eckpunkte der Musik heißen Prog, genauso wie sich der post-metallische Würgegriff noch immer dann und wann um den Hals des Hörers legt. Und doch strahlt „Holocene“ Hoffnung aus. Ob sich das an den brillanten Arrangements der Songs oder am instrumentalen Können der Musiker fest machen lässt, oder ob es doch der nicht ganz unwichtigen Fähigkeit der Band geschuldet ist, mit allumfassenden Themen die emotionalen Knöpfe des Einzelnen zu drücken, ist Ansichtssache. Der Künstlerstatus von The Ocean bleibt so oder so indiskutabel.

Dominik Maier

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