Teil 1 war zwar schon sehr Black Metal-lastig, aber im Bereich düsterer Tonkunst gibt es einfach sehr viel zu entdecken. Darum widme ich mich in diesem Teil der Liste nochmal dem Zauber des Dunklen.
01. Misþyrming – Algleymi (2019)

“Algleymi” ist ein Juwel schwarzer Kunst. Misþyrming schaffen den perfekten Spagat zwischen roher Brutalität und schneidender Melodik. Dabei hat die Musik stets ein sperriges Element ohne unrund zu klingen. Songs wie “Orgyia” sind die vollkommene Vertonung von Gewalt, aber niemals roh oder rein barbarisch. Vielmehr gleicht das Album einem Ritt durch einen Orkan. Da passen auch die ohrwurmmäßigen Melodien am Ende von “Með svipur á lofti”, das sonst durchweg aufs Gaspedal drückt. “Ísland, steingelda krummaskuð” nimmt danach das Tempo raus. Statt Raserei gibt’s einen astreinen Headbanger, der aber nicht minder intensiv ist. Die Stimmung hat erst etwas Erhabenes, wird dann immer bedrückender und am Ende findet das immer präsente Chaos seinen Weg in den Song. Nachdem das melodische “Hælið” für eine kleine Verschnaufpause sorgt, hält in “Og er haustið líður undir lok” ein depressives Element Einzug. Dabei kommen Groove und Melodien aber nie zu kurz, was den Song zu einem echten Ohrwurm macht. “Allt sem eitt sinn blómstraði” ist der Soundtrack für eine Hetzjagd. Die Bedrohlichkeit lebt auch durch ein sprunghaftes Element das den Song zwar zerrissen wirken lässt, ihm aber auch seine Gefahr verleiht die wie das Destillat der Essenz des Albums wirkt. Diese tritt in „Alsæla“ noch effektiver zum Vorschein. Die flirrenden Riffs kämpfen förmlich gegen die pfeilschnellen Melodien an und erschaffen ein fast krankhaft bösartiges Stück Musik. An dieser Stelle muss auch eine Lanze für den hammermäßigen Gesang gebrochen werden. Die Stimme schafft es das Chaos der Scheibe in jedem Song ein Stück weit neu darzustellen ohne offensichtlich auszuwimpen. Dem Album kommt außerdem sein spannendes Arrangement zu Gute sodass zu keiner Zeit Längen entstehen. Da ist auch der abschließende Titeltrack keine Ausnahme, im Gegenteil: Die Zerrissenheit in den Melodien klingt fast noch stärker als bisher und die zweite Hälfte bekommt ein erhabenes aber eben auch bedrohliches Flair, das besonders durch die konträre Kombination der Stimme mit angriffslustigen Riffs lebt. Dabei schwirren die Melodien nebulös über dem Rest des Songs und hüllen ihn wie in einen kratzigen Kokon. So ist “Algleymi” ein Statement gegen jedwede seelenlose Musik und nicht nur für den Black Metal ein Highlight der letzten Jahre.
02. Batushka – Litourgiya (2015)

Mit “Litourgiya” setzte sich die Band aus dem Stand an die Spitze der Black Metal Szene. Ohne irgendwelche Vorinformationen oder Promotion wurde dieses Debut 2015 auf die Welt losgelassen. Dabei zeichnet das Album nicht nur die erstklassige Musik aus. Natürlich trägt auch die mystische Aura, der Reiz des Unbekannten und die sakrale Präsentation des Gesamtkunstwerks Batushka zur Klasse dieses Albums bei. Doch auch ohne den visuellen Aspekt wäre die Musik erstklassig und würde kaum etwas von ihrer Faszination einbüßen. Der Band gelingt die Kombination von schneidendem, wenn man so will, “orthodoxem” Black Metal und dem sakralen Element (Kirchenchöre, rituelle Gesänge etc.) derart stimmig, dass man bezüglich dieses Anspruchs hier nur von Perfektion sprechen kann. Das Album wirkt bis ins kleinste Detail durchkonzipiert, nichts wurde dem Zufall überlassen. Dabei schafft es die Band die sakralen Elemente immer songdienlich zu präsentieren und tritt zu keiner Zeit in die Kitschfalle, vielmehr beschwören die Chöre und rituellen Gesänge eine morbide Stimmung herauf die über die komplette Spielzeit immer dichter und bedrückender wird. Dabei sind untypische Elemente wie die mantrische Frauenstimme in “Yekteniya VI” immer eine echte Bereicherung für die Musik und verleihen ihr das notwendige Quäntchen Faszination, das großartige von starker Musik unterscheidet. Das gilt auch für die doomige Walze “Yekteniya VII” in der komplett auf Screams verzichtet wird. Die Choräle lassen die Musik aber umso schwerer klingen. “Yekteniya VIII” beschließt das Album auf dem emotionalen Höhepunkt. Das Pendel zwischen Black- und Doom Metal wurde wohl niemals so exakt austariert. Dabei klingt aber nichts was in diesem Song passiert genre-typisch. Dieses Debut ist ein früher Meilenstein der den Black Metal nachhaltig prägen konnte und auch weiterhin prägen wird.
03. Helrunar – Sól (2011)

Nicht nur wegen seines Umfangs ist der Doppeldecker “Sól” ein schwer verdaulicher Brocken. Auch die Texte (im Falle dieser Band muss man von tiefschürfender Lyrik in ihrer bestechendsten Form sprechen) erfordern eine aktive Auseinandersetzung. Klar, mancher kann solche Musik im Hintergrund laufen lassen, aber ihre volle Magie entfalten Helrunar immer dann, wenn der Hörer wirklich zuhört. Allein der stimmungstechnische Wandel den die tagebuchähnlichen Zwischenspiele erzeugen ist das nachhören wert. Musikalisch zelebrieren Helrunar eisigsten Black Metal, ohne irgendwie stereotyp zu klingen. Ein Song wie “Nebelspinne” ist ein schleifendes Biest, tiefschwarz und bösartig. Dagegen hat “Tiefer als der Tag” nicht nur lyrisch etwas apokalyptisches. Insgesamt schaffen es Helrunar (wie schon auf ihren anderen Releases) den Songs immer einen eigenständigen Charakter zu verpassen. Dabei flüstert Skald Draugir auch mal während eine mahnende und doch wunderschöne Akustikgitarre erklingt. Dass sie das Spiel mit musikalischen Gegensätzen und sich überlagernden Stimmungen perfekt beherrscht beweist die Band auch in “Ende 1.3”, das “Sol I” beklemmend abschließt. Und textlich ist dieses Stück, so direkt es manchem erscheinen mag über jeden Zweifel erhaben, weil es den Sinn der Existenz jeden Lebens auf den Punkt bringt. “Europa nach dem Eis” eröffnet den zweiten Teil mit monolithischen Klängen, ehe „Aschevolk” die Vielschichtigkeit der Musik voll ausreizt und gleichermaßen erhaben wie depressiv klingt (besonders in Teilen des Gesangs). In diesem Stück wird auch die Gewichtung der Texte überdeutlich. Einerseits klar formuliert, lassen die Worte immer viel Raum für Interpretation. So schaffen Helrunar einen Leitfaden für ihre Reise, überlassen die Zielfindung aber großteils den Gedanken des Hörers. Dass Musik und Text auf dem zweiten Teil eine deutlich düstere Szenerie erschaffen passt im Gesamtkontext sehr gut, bekräftigt aber nochmal die Notwendigkeit des aktiven Zuhörens. Dazu passt auch der rasende Hass der einem Song wie “Die Mühle” innewohnt. Das schleifende “Rattenkönig” glänzt besonders am Anfang mit ergreifender Melodik, wird am Ende aber trostlos, zerstörerisch und leitet den “Moorgänger” passend ein. Zu einem der besten Texte die Skald Draugir jemals verfasst hat, gräbt sich das harte Riffing immer tiefer in die Dunkelheit des Songs. Eisig, melancholisch, ergreifend! Nachdem “Lichtmess” die Erkenntnis dass alles nichts ist akzeptiert ist der abschließende Titeltrack dann doch ungewohnt hell. Die doomige Schwere wird von fast zarten Melodien überschattet, die gewissermaßen die Erlösung aus der marternden Reise des lyrischen Ichs symbolisieren. Zu sagen der Erzähler hat ein Stück Hoffnung wiedergefunden, wäre aber zu optimistisch.
04. Alcest – Kodama (2016)

Alcest zelebrieren auf jedem Album eine gewisse Schönheit. Die Musik lädt immer wieder zum träumen ein und selbst verzweifelte Schreie werden in wohlig warme Klangcollagen gebettet. Tatsächlich haben die Franzosen nicht ein schlechtes Album veröffentlicht und sind auch nie von ihrem musikalischen Pfad abgewichen. Lediglich Textkonzepte wurden neu oder anders ausgerichtet und die Musik wurde immer im Rahmen des eigenen Stils daran angepasst. “Kodama” markierte 2016 aber in gewisser Weise eine Art Rückbesinnung. Nachdem der Vorgänger “Shelter” keinerlei metallische Bezüge mehr aufwies und Frontmann Neige sogar erklärte das Metal-Kapitel sei für Alcest abgeschlossen klingt “Kodama” stellenweise wieder sehr hart (wenn man so will). Songs wie “Je Suis D’Ailleurs” oder “Eclosion” bäumen sich in manchen Momenten richtig auf und Neige keift auch wieder verzweifelt und harsch. Dabei verliert das Duo aber niemals die Melodie aus den Augen. Selbst die harten Momente haben dank der flächigen Melodien immer diesen traumähnlichen Charakter den so nur Alcest erzeugen können. Dabei klingt der Spagat zwischen den eigenen Anfängen und einer natürlichen Fortsetzung des meditativen Sounds von “Shelter” immer natürlich und wirkt zu keiner Zeit erzwungen oder bewusst aufgesetzt. Songs wie dem treibenden “Oiseaux De Proie” kommen außerdem zu Gute, dass sie immer eigenständig klingen. Wenn hier überhaupt etwas oder jemand zitiert wird, dann die eigene musikalische Vergangenheit. “Onyx” beendet das Album dann mit sphärischen Klängen und unterstreicht die Dualität der Musik nochmal. Faktisch klingt in diesem Stück nichts hart, das unterschwellige Grollen des Sounds hat aber etwas Ungewisses, beinahe Verstörendes und erreicht damit die Qualitäten eines Black Metal Stücks.
Fazit:
Alcest greifbar zu erklären ist auch mit “Kodama” nicht einfacher geworden. Dafür ist die Musik zu lebendig, zu sehr Gefühl und das ist immer ein Pluspunkt. Die Franzosen bleiben nach wie vor eine Ausnahmeband!
05. Secrets Of The Moon – Seven Bells (2012)

Manch einer mag Secrets Of The Moon bis zu diesem Album ein Stück weit Wiederholung ihres Stils vorwerfen, andere sehen in “Seven Bells” die Perfektion der eigenen Trademarks. So oder so, die Musik ist mitreißend, intensiv und SOTM haben es auch mit diesem Album geschafft ihre Duftmarke in der heimischen Düsterszene zu hinterlassen. Die doomige Schwere die schon den Vorgänger “Privilegium” auszeichnete ist auch hier deutlich präsent. Die Musik besticht vor allem durch ihre dichte Atmosphäre. Die ist mal klamm und schleichend, mal zäh und zermürbend aber niemals diffus oder unkontrolliert. Insgesamt werden die Songs dabei noch ausladender, epischer, wenn man so will. Das zeigt sich bereits im eröffnenden Titelstück und dem tonnenschweren “Goathead”. Die schleifende Wucht des Doom Metal paart sich mit der undurchsichtigen Bösartigkeit des Black Metal. Diese Dunkelheit liegt wie ein Schleier über allen sieben Songs, wird aber mitunter auch aufgebrochen. So startet “Serpent Messiah” mit galoppierendem Groove bevor die Musik doch zäh und schwer wird. Dabei variiert der Gesang mehrmals und erzeugt eine ganz eigene Stimmung. Die angesprochene Schwere zieht sich durch das komplette Album und ist schon lange ein Markenzeichen der Band. Über die komplette Spielzeit fällt auch auf, dass die verschiedenen Gesangsstile sehr gut funktionieren und dem Sound immer das passende Quäntchen verleihen um den Hörer konstant zu fesseln. Zunächst tönt “Blood Into Wine” schwer und massiv, bekommt dann aber einen schnell klöppelnden Part mit aggressiv-melodischen Gitarren verpasst. Das sorgt für die nötige Portion Wildheit, die den Song spannend hält. “Worship” klingt simpel, aber mächtig. Langsam baut sich der Monolith auf. Die Musik zieht den Hörer immer tiefer in ein Art Trance, aus der erst die fetzigen Grooves in der zweiten Hälfte ein Stück weit rausreißen. Bösartig und sinister steigert sich “Nyx” über zwölf Minuten auf ein Grande Finale hin. Dabei hat besonders der Gesang etwas manisches, ja verstörendes das von den Gitarren getragen wird bevor im Refrain eine fast sehnsüchtige, klagende Note hinkommt. “The Three Beggars” spinnt diesen Faden weiter, spielt aber noch stärker mit Kontrasten. Das hat zur Folge, dass die Vocals noch krankhafter wirken. Dass der Gesang immer wieder variiert wird (mantrische Wiederholungen, finsteres Schreien, monotones Rezitieren) erzeugt eine diffuse Dunkelheit. Nachdem das schleifende Finale über den Hörer hinwegdonnert endet das Album mit dröhnenden Glockenschlägen und gequälten Schreien. Der vorweg genommenen Stilbeschreibung ist nichts mehr hinzuzufügen.
06. Ghost – Meliora (2016)

Zwischen Kult, Klamauk und dem Mega-Act der Zukunft fällt immer wieder der Name des unheiligen Papstes und seiner namenlosen Ghouls. Tatsächlich haben die ersten beiden Alben den Hype um die Band ordentlich angefeuert und “Meliora” setzte 2016 zum ganz großen Wurf an. Egal ob man die Maskerade der Band begreift oder als Beiwerk abtut, musikalisch haben sich Ghost mit jedem Album gesteigert. Die Inszenierung wurde immer detailverliebter, was man auf den ersten Blick am Cover-Motiv von “Meliora” erkennen kann. Musikalisch fällt auf, dass die Band den Pop-Faktor etwas zurückgefahren hat. Glücklicherweise sind aber keine Abstriche in Sachen Eingängigkeit auszumachen. Songs wie “Cirice” oder “From the Pinnacle to the Pit” sind nach einmaligem Hören Stammgäste im Langzeitgedächtnis und besonders letztgenannte Nummer glänzt mit Melodien die nicht von dieser Welt sein kein können. Das alles verkommt nach den ersten Tönen von “He Is” aber zu bloßem Vorgeplänkel. Diese dunkel-verträumte Endzeitballade ist der perfekte Ohrwurm und verdreht jedem sofort den Kopf (es sei denn man ist tot, ein Zombie oder derart emotionslos dass sowieso alles zu spät ist). Dagegen wird “Mummy Dust” wieder flotter und wenn man so will, gruseliger. Der Song klingt leicht kratzig, was ihm ein tolles, dunkles Flair verleiht. Dass der Gesang wunderbar im Kopf herumspukt passt umso besser. Auch die Hook von “Majesty” geht sofort ins Ohr, und besonders hinten raus hat der Song instrumental einiges zu bieten. Was hier an Gitarre und Orgel veranstaltet wird ist ganz groß! Das gilt auch für das Zwischenspiel “Devil Church” nachdem “Absolution” eine kleine Brücke zu den Anfangstagen der Band schlägt. Hier schimmert der kauzige Gruselfaktor ein Stück weit durch, ohne mit der Klasse der Scheibe zu brechen was den Song fast unbekümmert locker macht. Und dann: “Deus in Absentia”. Eine übergroße Hymne mit Chören, Ohrwurm-Gesängen und Melodien die einfach alles bieten. Die Nummer ist tanzbar, eingängig und groovt ungemein. So klingt der perfekte Abschluss für ein (fast) perfektes Album. Dieses “fast” ist aber nur der Tatsache geschuldet, dass der Nachfolger “Prequelle” alles was hier schon perfekt zu sein scheint auf ein “over the top”-Level anheben konnte.
07. Wolves in the Throne Room – Thrice Woven (2017)

“Celestite” stieß nicht bei allen Fans auf Gegenliebe. Das reine Ambient-Album war für manche wohl doch ein zu krasser Kontrast zum hervorragend schwarzmetallischen “Celestial Lineage”. Auf “Thrice Woven” präsentieren sich die Wölfe wieder in gewohnt schwarzem Gewand, verleugnen aber ihre Liebe zum Ambient nicht komplett und lassen immer wieder entsprechende Klänge in die klirrenden Kompositionen einfließen. Insgesamt wirkt dieses Album noch dramatischer als seine Vorgänger, was der Opener “Born from the Serpent’s Eye” eindrucksvoll unterstreicht. Dominieren in der ersten Hälfte pure Raserei und Eiseskälte, veredelt der Gastgesang von Anna Von Hauswolff den zweiten Teil zu einem naturromantischen Stück Düstermusik, das eine dicke Gänsehaut erzeugt. Bei fünf Songs in 42 Minuten passiert natürlich einiges innerhalb der Stücke. Eines der wohl epischsten Stücke in der bisherigen Diskografie der Amis ist “The Old Ones are with us”. Die Ambient-Anteile werden wieder mehr in den schleppenden Düstermetall eingebaut und die Melodien erzeugen eine gewisse Weite die dem Song etwas majestätisches verleiht. Am Ende sorgt der Klargesang des Neurosis Frontmanns sogar für eine tolle Johnny Cash Reminiszenz. Auch in “Angrboda” schimmern immer wieder Ambient-Elemente durch (besonders im Mittelteil), der Fokus liegt aber auf schleifender Schwärze. Vereinzelt könnten sich Parallelen zu Bands wie Burzum ziehen lassen, allerdings klingen WITTR immer eigenständig genug um Vergleiche größtenteils aus dem Weg zu räumen. Das Interlude “Mother Owl, Father Ocean” schafft nochmal Raum für sanftere Klänge (inklusive Harfe und betörendem Frauengesang), ehe “Fires Roar in the Palace of the Moon” ein Wirbelsturm ist. Eisiges Riffing, Blastbeats und garstiges Keifen dominieren die ersten vier Minuten, dann driftet der Song immer mehr in Richtung Drone/Ambient. Doomiger Groove und weite Melodien setzen ein bevor die finale Raserei alles kurz und klein hackt. Meeresrauschen führt den Hörer aus der Musik mehr und mehr hin zu den eigenen Gedanken die noch etwas länger um die Thematik von “Thrice Woven” kreisen. Meisterhaft!
08. Dimmu Borgir – Abrahadabra (2010)

Das ist kein Black Metal! Na und? Das will es auch gar nicht sein. “Abrahadabra” bietet von allem mehr: Mehr Bombast, mehr Chöre, mehr Gothic und mindestens genauso viel Metal wie der Vorgänger. Auffällig ist dass das Orchester noch effizienter in die Kompositionen eingebunden wird. Jedes Detail sitzt an der richtigen Stelle. So ist das Intro “Xibir” auch ein reines Orchesterstück nachdem “Born Treacherous” noch viel Wert auf fetzige Riffs legt. Der Song klingt zwar schon sehr opulent, legt den Fokus aber noch stark auf knüppelnde Sounds. In “Gateways” leistet das Orchester ganze Arbeit. Die Dramaturgie ist perfekt und Agnet Kjølsrud liefert eine geniale, aber auch verstörende Gesangsleistung. Der zweistimmige Gesang verleiht der Musik nochmal ein etwas exzentrischeres aber auch dunkleres Gewand. Ähnlich verhält es sich mit “Chess with the Abyss”. Nach ein paar Durchläufen kommt der Song aber deutlich angriffslustiger und direkter daher (besonders was das Riffing angeht). “Dimmu Borgir” entpuppt sich dann als absoluter Hammer. So direkt, roh und gleichzeitig erhaben hat die Band selten geklungen. Das liegt vor allem an Shagrath, der herrlich fies keift, aber auch dunkel und erhaben raunt. Auch instrumental wird aufgetrumpft: Blasts stehen Seite an Seite mit dem Orchester, was die Dramaturgie auf ein beachtliches Niveau steigert (dieses Niveau wird aber eigentlich vom ersten bis zum letzten Ton der Scheibe gehalten). Dagegen startet “Ritualist” so garstig und direkt wie kaum ein Song in der Vergangenheit der Band (von den Anfangstagen mal abgesehen). Das Orchester ist zwar immer noch ein wesentlicher Teil des Stücks, aber seine Stärke bekommt der Song vor allem durch angriffslustige Riffs und Shagraths variablen Gesang. Die wahre Großtat ist aber “The Demiurge Molecule”, denn hier verschmelzen Orchester und Band zu einer vollkommen Einheit die gleichermaßen erhaben und bösartig klingt. Alleine die Kombination aus Blastbeats und opulenten Bläsern ist genial. Dazu wird der Gesang über weite Strecken noch infernalischer als bisher. Hammer! “A Jewel Traced Through Coal” fährt den Bombast dann auf ein Minimum zurück und klingt deutlich derber. Blastbeats und Riffs rasen konstant voran. Lediglich im Outro gibts wieder Chöre. Nach einem verspielten Anfang wird “Renewal” zu einem rasanten Schwarzmetallgeschoss. Die cleanen Vocals von Snowy Shaw klingen auch ganz cool können aber keinen großen “Aha-Effekt” erzeugen. Das Intro von “Endings and Continuations” klingt wieder viel kälter, bevor der Song zu einem erhabenen Finale wird. Das Orchester wird spannend in die schwarze Soundmelange eingebunden und neben Shagraths Growls klingen jetzt auch die männlichen Cleans wirklich erhaben. Ein starker Abschluss für ein Album das (in der Diskografie der Band) nach wie vor eine Ausnahmestellung inne hat.
09. Me and that Man – Songs of Love and Death (2017)

Wenn Behemoth die aggressive Seite eines dunklen Herzens sind, bilden Me and that Man das ruhige Gegenstück dazu. Nergal hat sich für das erste Album abseits seiner Stammband mit John Porter einen passenden Partner mit an Bord geholt und gemeinsam wildert das Duo in den Klangwelten von Johnny Cash, Leonard Cohen und Konsorten. Dazu kommt auch Outlaw Country in seiner düstersten Form. Beide Musiker verkörpern jeweils einen Gegenpart der musikalischen Identität der Band. Während Nergal die Provokation seiner Stammband auch in den draufgängerischen Charakter dieses Projekts einfließen lässt, gibt Porter die lebensweise und gelassene Vaterfigur. Beide haben aber die ihnen eigene Dunkelheit gemein, ein schwarzes Feuer brennt in beiden Herzen. So handeln die Geschichten der “Songs of Love and Death” auch von der liebgewonnen Sünde, Sex und Sehnsucht (nach dem Dunkel). Dabei wirkt es, als hätte Nergal den Schutzpanzer den seine Behemoth-Persona im verleiht bewusst abgelegt und den Blick frei auf eine verletzlichere, aber nicht minder provokante Seite seines Wesens freigegeben. Die Trauer und Zerbrechlichkeit die Nummern wie “Cross my Heart and hope to die” oder das bedrückende “Ain’t much Loving” auszeichnet lassen die beiden Musiker einerseits sehr nahbar wirken, andererseits schwingt ein düsteres, gefährliches Element immer im Hintergrund mit. Gerade diese Dualität zeichnet die Musik aus. Die Geschichten sind mitreißend erzählt und jedes der 13 Stücke bildet einen Teil des Weges den das Album dem Hörer aufzeigt. Schritt für Schritt geht es in Richtung Ungewissheit.
10. Solstafir – Svartir Sandar (2011)

Hier könnten auch “Ótta” oder “Berdreyminn” stehen. Beide Alben bewegen sich auf einer Linie mit “Svartir Sandar” wenn es um die Qualität der Musik geht. Das 2011er Werk stellt aber meinen persönlichen Einstieg in Solstafirs Welt dar. Demnach ist dieses Review eine Herzensangelegenheit, ich versuche aber möglichst neutral zu bleiben. War die Musik der Isländer schon immer etwas entrückt, klingt dieses Doppelalbum noch weltfremder, verträumter als zuvor. Das beginnt mit “Ljós í Stormi”. Über knapp zwölf Minuten fällt der Hörer in einen fast uferlosen Soundozean zwischen wohliger Wärme und verzweifelter Tragik. Diese Tragik findet sich in unterschiedlicher Ausprägung auf jedem Song des Albums und bildet den roten Faden der die Stücke verbindet. Mit “Fjara” steht DER Übersong des Albums bereits an zweiter Stelle. Zwischen Entrücktheit, Trauer und Sehnsucht zaubert die Band ein mitreißendes Stück Musik, das in emotionale Untiefen hinabführt und zugleich aufrüttelt. “Þin Orð” führt wieder in stürmischere Gewässer, behält aber die Tragik bei, die in einem peitschenden Ende kulminiert. “Sjúki Skugginn” lebt danach von einem stark erzählerischen Charakter, lässt aber den Instrumenten sehr viel Raum und wirkt wie die Vorgeschichte zu “Æra”. Zwischen fast schmerzlich emotionalem Gesang und treibender Rhythmik bauscht sich der Song immer wieder auf, flaut ab und verbindet psychedelische Keyboards mit den harschen Kanten die Islands Landschaften zu bieten haben. Ganz groß! “Kukl” beendet den ersten Teil “Andvari” als entzerrte Rast, dabei schwingt aber immer ein Teil Wehmut und Tragik mit. Der zweite Teil “Gola” wird von “Melrakkablús” ähnlich melancholisch wie sein Vorgänger eröffnet, klingt aber weniger stürmisch. Stattdessen hat der vielschichtige Song etwas von innerer Einkehr. Das instrumentale “Draumfari” klingt sogar hoffnungsvoll, vermittelt es doch eine gewisse Aufbruchstimmung und Lockerheit, die dem Album eine andere Facette hinzufügen. “Stinningskaldi” macht diese aber mit einer ambientös untermalten Nachrichtenmeldung (?) zunichte. “Stormfari” schließt sich direkt an und spinnt den musikalischen Faden weiter. Großartige Rhythmik. Kurz, knackig, intensiv. Das Titelstück meistert die Gratwanderung zwischen Melancholie, Kontrollverlust und psychedelischem Trip mit fast schmerzlicher Energie ohne zerfahren zu wirken. Grandios! “Djákninn” beendet das Album schwermütig, andächtig und lässt doch ein wenig Hoffnung aufkeimen. Steigert sich die Musik doch hin zu einem lockeren Groove der am Ende doch ein wenig Aufbruchstimmung transportiert. Das warme Licht am Ende eines verwinkelten, dunklen Tunnels.
Dominik Maier